Nein zur IV-Revision am 17. Juni
Hände weg von der IV - wie die AHV ist sie ein Recht, das allen zusteht

1. Härtere Arbeit und weniger Rechte

Der Bundesrat und die Behörden prangern das Defizit bei der IV an. Doch das Bundesamt für Statistik (BfS) stellt fest, dass 4 von 10 Lohnabhängigen bei der Arbeit unter so starkem Druck leiden,dass sie unter Gesundheitsproblemen wie Rücken- und Kopfschmerzen oder Schlafstörungen leiden… Die Arbeitsbedingungen sind vor allem seit 1997 härter geworden. Als Beispiele für dieseVerhärtung nennt das BfS die Verbreitung von unregelmässigen Arbeitszeiten, Nacht- und Abendarbeit, Arbeitsüberlastung, Stress, Kontakt mit schädlichen Produkten, Berufsunfälle, unsichere Beschäftigungsverhältnisse und Angst um den Arbeitsplatz.

Gerade in der Schweiz hört die Demokratie am Eingang des Unternehmens auf. Die gewerkschaftlichen Rechte am Arbeitsplatz sind sehr bescheiden. Angst verbreitet sich überall, sie wird verinnerlicht. Es gibt nur selten kollektive Aktionen gegen „eine Arbeit, die uns immer mehr kaputt macht“. Den Preis dafür zahlen die Lohnabhängigen durch die Verschlechterung ihres Gesundheitszustands. Es überrascht deshalb nicht, dass die Zahl der neuen IV-„Fälle“ bis 2003 stark angestiegen ist.

Die Behörden unterstützen das Veto der Unternehmer gegen jede Einmischung von aussen in Bezug auf die Arbeitsbedingungen ohne Vorbehalte. Die 5. IV-Revision schafft deshalb die Voraussetzungen dafür, dass die Arbeitsbedingungen als mögliche Invaliditätsursache bei einer immer grösser werdenden Anzahl von Lohnabhängigen, vor allem Frauen und Männer mit bescheidener oder ohne Berufsausbildung, nicht mehr in Betracht gezogen werden.

In der Praxis wird das bereits umgesetzt. Im ersten Halbjahr 2006 lag die Zahl der neuen Renten um 30% tiefer als im ersten Halbjahr 2003. Die 5. IV-Revision nimmt die Menschen ins Visier, die unter einer immer mühsameren Arbeit leiden, während die Verantwortlichen für diese körperlichen und psychischen Leidenungeschoren davon kommen.

2. Früherfassung und Begleitung: Lohnabhängige anzeigen und disziplinieren

Wie üblich bringt auch die 5. Revision Massnahmen, die einen hochtrabenden und trügerischen Namen tragen. Das gilt auch für das System der „Früherkennung und Begleitung” (FEB). In Wirklichkeit geht es darum, die Lohnabhängigen anzuzeigen und zu disziplinieren.

Das offizielle Ziel der Früherkennung besteht daraus, möglichst frühzeitig über alle Informationen zu verfügen, welche den Bezug einer IV-Rente verhindern und die „berufliche Neuausrichtung“ der betroffenen Person erleichtern sollen. Wer mehr als vier Wochen lang krank war, wird auf gesetzlicher Grundlage einer Frühintervention unterzogen werden können, die zu einer beruflichen „Rehabilitation“ ausserhalb des Unternehmens oder an einem anderen Arbeitsplatz führt. Zu diesem Zweck sollen sich alle in Detektive verwandeln, von der Versicherung (Taggelder) bis zum Unternehmer, von der Familie bis zu den Vorgesetzten, um „Abnormalitäten“ bei der Arbeit und im Verhalten einzelner Lohnabhängiger aufzuspüren und anzuzeigen. Die betroffene Person wird der IV-Stelle die Erlaubnis erteilen müssen, alle möglichen Informationen über sie einzuholen, geradeauch solche, die unter das Arztgeheimnis fallen. Das Sammeln dieser Informationen dient nur einem Ziel: die Rechtfertigung der Ablehnung von IV-Leistungen, das heisst eines anerkannten Rechtsanspruchs.

In der Schweiz gibt es praktisch keinen Kündigungsschutz. Während die so genannten Eingliederungsmassnahmen durchgeführt werden, werden die angezeigten Lohnabhängigen deshalb von zwei Seiten bedroht. Einerseits kann der Unternehmer sie entlassen. Deshalb hat der Bundesrat auch schon geregelt, dass sie Arbeitslosengeld beziehen können! Anderseits kann die IV-Stelle sie bestrafen, wenn sie ihr nicht gehorchen. Die 5. IV-Revision verschärft die Destabilisierung der Beschäftigungsverhältnisse und den Druck auf die Löhne – gerade auch auf die niedrigsten – noch mehr.

3. Die Legende vom IV-kompatiblen Unternehmer

Seit die Invalidenversicherung 1960 in Kraft getreten ist, hat sie immer schon das Ziel verfolgt, die Eingliederung gegenüber de rRente vorzuziehen. Wenn dies als etwas Neues bezeichnet wird, handelt es sich um eine offizielle Lüge der Behörden. Neu ist dagegen die Verbindung einer anhaltenden Arbeitslosigkeit mit aufreibenden Arbeitsbedingungen und entsprechenden Invaliditätsrisiken. Diese Tatsache wird durch die 5. IV-Revision ignoriert.

So behaupten schon heute die IV-Stellen systematisch, sie könnten von einer Person verlangen eine Arbeit zu finden, die ihr ein höheres Einkommen bringt als diejenigen Stellen, die sie in der wirklichen Welt mit Mühe und Not zu finden vermag. Ein Beispiel: Eine Person verdiente 45’000 Franken. Die Invalidität tritt ein. Auf der Grundlage ihrer Lohntabellen behauptet die IV-Stelle, dass diese Person trotz der eingetretenen Invaliditätsfaktoren an einer neuen Stelle 52’300 Franken verlangen könnte und sollte. Dann vergleicht die IV-Stelle die beiden Löhne – den wirklichen und den fiktiven Lohn – und kommt zum Schluss, dass kein Einkommensverlust vorliegt. Kein Einkommensverlust bedeutet für die IV: keine Invalidität. Diese Person muss einfach einen IV-kompatiblen Unternehmer finden, der ihr den durch die IV „berechneten“ Lohn bezahlt. Sonst soll sie halt zur Arbeitslosenkasse oder zur Sozialhilfe gehen. Weshalb präsentieren die IV-Stellen den Lohnabhängigen, für die sie einen theoretischen Lohn berechnen, nicht eine Liste von Unternehmen, die bereits sind, diesen Lohn zu bezahlen? DieAntwort liegt auf der Hand: Diese Stellen und diese Unternehmen gibt es gar nicht. Das Ziel der 5. IV-Revision kann in einem Satz zusammengefasst werden: Es geht darum, die Invalidenversicherung selbst zum Invaliditätsfall zu machen.

Die Sanierung der IV-Finanzen erfordert in erster Linie eine Senkung der Anzahl Menschen, die „durch ihreArbeit krank werden“.Zudiesem Zweck müssen alle das Recht haben, die Bedingungen ihrer Erwerbstätigkeit zu beeinflussen. Ausserdem müssen die Unternehmerbeiträge an die IV erhöht werden. Die Arbeitskosten (Anteil der Löhne an den produzierten Gütern und Dienstleistungen) liegen in der Schweiz im Vergleich mit anderen führenden Ländern sehr tief. Der Bundesrat übertreibt die „Finanzierungskrise der IV" stark - genau wie bei den Bundesfinanzen: Wir hören seit Jahren immer wieder, dass die Schweiz finanziell am Abgrund steht - und zwar jedes Mal, wenn eine unsoziale Massnahme gerechtfertigt werden soll.