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Venezuela
Die Revolution aus der Sicht der Linken
oder die Erbsünde des Chavismus

von Roland Denis* aus INPREKORR 420/421, November/Dezember 2006

Weder der „Chavismus“ noch die „Bolivarianische Revolution“ sind politische Phänomene, die im traditionellen Raum der Linken entstanden sind, dies ist ihre Erbsünde. Sie sind entstanden aus einer Straßenrevolte, aus den Aufständen der Kasernen und nicht aus der radikalen Entscheidung einer Avantgarde oder eines politischen Blocks der Linken, die einen revolutionären Prozess bis zum Sieg lenken würden. Wir sprechen also über ein extrem komplexes Phänomen, das mit einem „indigenen Barock“ beladen wurde, das glücklicherweise aber auch durch die libertärsten und radikalsten Elemente genährt wurde, die ab einem gewissen Zeitpunkt unserer Geschichte in die kleinsten verborgenen Winkel der Gesellschaft eingedrungen sind, und durch die Volksbewegung, die heute soweit geht, den Antikapitalismus und den Sozialismus auf ihre Fahnen zu schreiben.

Aber wir sprechen auch über eine Gesellschaft, die durch die Anhäufung des Elends und der Korruption traumatisiert wurde. Eine Gesellschaft, die auf einem Modell der Akkumulation beruht, das auf eine „Extraktionswirtschaft“ gegründet ist, das heißt einer Volkswirtschaft, die vom Staat abhängig ist, der von der Ölrendite und einer kapitalistischen Struktur lebt, die dank der Subventionierung der Profitrate mit Hilfe eines Umverteilungsabkommens (im übrigen nicht sehr legal und offen, daher „die ständige Straffreiheit“, in der wir leben) zwischen den herrschenden Klassen und den politischen Eliten an der Macht reproduziert wurde.


Chavismus: Auf der Straße, in der Revolte
und in den Kasernen geboren.

Diese strukturelle Basis unserer sozialen Bildung hat mit der fast ein Jahrhundert andauernden Existenz einer extrem ungleichen Gesellschaft zu tun (diejenigen, die von der Ölausbeute profitieren und diejenigen, die davon ausgeschlossen werden), sie ist aber gleichzeitig die Motivation für eine Volksbewegung und für einen Widerstand derjenigen, die wie alle, die diese Tatsachen anprangern, für die dringlichsten und oft elementaren Volksforderungen (Wasser, Elektrizität, Wohnung, Land, Arbeit, Erziehung, Gesundheit usw.) kämpfen, und sie trägt in sich die Schwäche, eine Bewegung vom Rand aus (aus der „Marginalität“) zu sein, eine Bewegung, die in ihrer Mehrheit aus der zentralen Debatte über die Produktion und die Umverteilung der geschaffenen Reichtümer ausgeschlossen bleibt. Wenn es überhaupt eine „Klassenbasis“ gibt, dann hat sie sich zweifellos im Kontakt mit einigen kampfbereiten Gruppen der Arbeiter- und marxistischen Bewegung und insbesondere aus den Debatten und aus dem Einfluss sehr unterschiedlicher und unorthodoxer historischer Kampfströmungen heraus gebildet (kulturelle Widerstände, die Theologie der Befreiung, das „Cimarronage“1, die Demokratie der Straße, die Demokratie in den Vierteln, soziale Bewegungen aller Arten, spontane Volksaufstände, Bewegungen nationaler Befreiung, der revolutionäre Bolivarianismus, der bewaffnete Kampf, der lateinamerikanische kritische Marxismus, der „Inus“, usw.)
Hierin liegt also die zweite Erbsünde „der Bolivarianischen Bewegung“: ihre ungewöhnliche Vielfalt und ihre Heterodoxie, die heute durch die Person von Hugo Chávez verkörpert wird.

DIE FEHLER EINER GEWISSEN LINKEN KRITIK

Die „revolutionären Sektoren“, das heißt diejenigen, die wie wir glauben, Teil des politischen und sozialen Kampfes zu sein, indem wir die notwendige Verbindung zwischen Theorie und Praxis suchen, sind angesichts einer unermesslichen Herausforderung des Verständnisses und der Definition einer zusammenhängenden Aktionslinie mit unserer historischen Verantwortung sowie mit der komplexen Wirklichkeit, in der wir leben, konfrontiert. Selbstverständlich oder einfach war das nicht, und heute noch wäre es sehr schwierig, einen Pol in dieser revolutionären Linken zu finden, der seine Zweifel und Mängel vollständig geklärt hätte. Jedoch reproduzieren sich weiterhin offensichtliche Fehler in unserer Perspektive, vielleicht bedingt durch die Notwendigkeit, sich in einen Sicherheitsumkreis zu flüchten, der es der einen oder anderen Organisation, Gruppe oder Tendenz erlaubt, sich vor dem Chaos der Wirklichkeit und vor der Krise der herrschenden Ordnung „ohne sicheren Ausgang“ in unserem Land zu schützen. Einerseits radikalisiert ein Teil der Linken seinen Diskurs anhand seiner Beurteilung „der Klassennatur“ dieser Regierung (bürgerlich, kleinbürgerlich) und der „reformistischen“, „nationalistischen“ oder „populistischen“ Abweichungen, die sie klassenbedingt durchziehen. Sie wäre demnach eine Regierung, die dazu verurteilt ist, über ihre Erklärungen hinaus, die Interessen des nationalen Kapitals und des Imperialismus zu verteidigen (wir verweisen auf die Mehrheit der trotzkistischen Strömungen, heute sehr aktiv in bestimmten Sektoren der Arbeiterschaft). Es könnte vollkommen richtig sein, wenn wir uns auf ein formales und soziologisches Verständniskriterium beschränken würden, nach dem wir in unserer Politik diese Regierung (kleinbürgerlichen, ländlichen Ursprungs oder von der Marginalität) einer möglichen Regierung entgegensetzen würden, die von den Delegierten der Arbeiter und der im allgemeinen ausgebeuteten Klassen gebildet worden wäre und die als solche identifiziert werden würde. Aber stellen wir dann eine Frage, vielleicht eine dumme: Gab es seit der Pariser Kommune und der ersten sowjetische Regierung (die Sowjetdemokratie), von 1917–1919 nur eine einzige Regierung in der Geschichte, die diesem Kriterium entsprochen hat, und die mehr als zwei Jahre „an der Macht“ blieb? Wenn es eine davon gab, dann schicken Sie bitte das Quellenmaterial.

Wir ziehen es unter diesen Umständen vor, anzunehmen, dass die Geschichte bewiesen hat, dass diese Form des politischen Verständnisses und der Aktion unter unermesslichen Mängeln und unter politischer Impotenz leidet. Vielleicht sollten wir den guten Anarchisten, den Autonomen, den Rätekommunisten, den Kameraden von Durruti und den Zapatisten bezüglich der Unmöglichkeit der Befreiung der Arbeit, mit den Werkzeugen der Avantgardepartei und der Staatsform, zum Teil recht geben.

Konzentriert diese Staatsform in etwa nicht (ihre ideologische Zugehörigkeit ist dabei unwichtig) in sich selbst alle Regeln, die Kultur, die Protokolle und die Beziehungen, die historisch die kapitalistische Herrschaft am Leben erhalten? Das Problem der orthodoxen Klassenanalyse, Erbin der leninistischen Tradition, ist ihre übermäßige Verachtung für die reale gesellschaftliche Situation (ihre Vielfalt, die Beziehungen, die sich dort entwickeln, die Verwicklung der sozialen Themen), auf die sich die herrschende Ordnung stützt. Aber auch ihre Verachtung für die letzten historischen Ereignisse, die es möglich machten, neue politische Werte, neue Methoden des Widerstandes, neuer Räume der Wechselwirkung zwischen den ausgebeuteten Klassen, neue programmatische Perspektiven zu schaffen, ohne die die Revolution unmöglich ist, außer in den Köpfen und den Mythenbildungen selbsternannter Avantgarden. Wir wollen nicht sagen, dass wir die Rolle der traditionellen Arbeiterklasse, die Eroberung und die Kontrolle der Produktionsmittel und die Schritte in Richtung sehr konkreter Formen der Selbstorganisation, in denen dieser Sektor zentral ist, verachten sollten. Die Herausforderung besteht darin aus unseren Köpfen die soziologische Zwangsvorstellung der „Klasse“ zu vertreiben. Es geht darum in all den dynamischen ArbeiterInnenkämpfen einen Ausdruck der Gesamtheit des Klassenkampfs, der Erfahrung des Aufstandes und der Bildung neuer Ordnungen der Gesellschaft zu sehen, die aus dem gleichzeitigen Aufstand der teten entstehen.

Die Besetzung eines Hauses ist nicht wichtiger als die eines Stückes Landes, oder die einer Fabrik. Die wichtigste Tatsache ist die Multiplikation dieser Phänomene der Enteignung des Kapitals, ihr Massencharakter, ihre politische Kreativität und ihre Fähigkeit zur Verteidigung angesichts der Angriffe des kapitalistischen Staates. Eine andere häufig verbreitete Kritik der Linken ist diejenige, die wir radikal-nationalistisch nennen. Der Verbindungspunkt dieser Kritiken liegt nicht mehr in der Klassennatur der Regierung, sondern in der Frage der Souveränität, konkreter im Problem der Zweideutigkeit, die die Regierung bezüglich ihrer „antiimperialistischen“ Haltung gezeigt hat. Sie kritisiert die Tatsache, dass, während die Erklärungen der Regierung sich der amerikanischen imperialistischen Beherrschung widersetzen, sie gleichzeitig eine Allianz der Privatisierungen mit dem transnationalen Ölkapital (jetzt ausgedehnt auf den Raum der Gasförderung) mittels „gemischter Unternehmen“ eingegangen ist. Diese Kritik widersetzt sich ebenso der Aufgabe der Orimulsion2 als alternativer Energiegewinnung. Sie fügt dem eine ganze Menge von Kritiken bei, die sich auf die Frage „des produktiven Modells“ insgesamt beziehen. Man kritisiert, was nur noch eine bloße Reproduktion des Modells des Kapitalismus ist: nämlich produktivistisch, abhängig und räuberisch. Ebenso wie man, die Pläne für die Bergbauindustrie, die Kohleförderung, die Gaspipeline des Südens3, die Teilnahme Venezuelas am IIRSA4, die Zahlung der Auslandsschulden usw. kritisiert. In den extremsten Versionen dieses „radikalen Nationalismus“ wird Chávez nur noch als eine „Marionette“ des Neoliberalismus in einer sozialistischen Verkleidung gebrandmarkt. Wir sind uns vollkommen einig über den „strategischen Dualismus“, den die Regierung und ihre Wirtschaftspolitik an den Tag legt (Erforschung neuer Produktionsverhältnisse; Allianz mit dem transnationalen Kapital). Die Einführung gemischter Unternehmen ist ohne jeglichen Zweifel eine gewaltige und unannehmbare Konzession an das Ölkapital. Projekte wie der Plan zur Entwicklung der Kohleförderung in der Region von Zulia, die transnationale Beteiligung in den Territorien, die gerade auf die Bergbauaktivitäten (Gold und Diamant in erster Linie) abzielen, die vorgeschlagenen Entwicklungsmodelle, die Vorstellung der kontinentalen Integration, die Zulassung einer bevorzugten Rolle für das Finanzkapital beweisen außerdem klar, dass der „Übergang zum Sozialismus“ immer zweifelhaft und widersprüchlich ist. Aber bedeutet dies alles, dass Hugo Chávez und seine Regierung nur noch ein Schlüsselwerkzeug des Imperialismus sind? Erneut wird eine formale Logik, aller empirischer Fakten entleert, vollkommen abstrakt und politisch ohnmächtig, an den Tag gelegt, wie es so oft von diesen ultranationalistischen Tendenzen praktiziert wurde. Das Problem ist, dass, obwohl einige von ihnen „über den Clash von Kulturen“5 und sogar über die Bekämpfung des Staatskapitalismus sprechen (man dankt im übrigen diesen Kameraden für ihre klare, linke ideologische Stellungnahme), sie nie, andererseits über einfache Anprangerung und ideologische Propaganda hinausgehen. Nach ihren Positionen gibt es keine Alternative außerhalb einer Mystifikation der politischen Macht oder einer Art Ursprungseigenschaft und jungfräuliche Gemeinschaft, jenseits der Geschichte, die als einzig heilbringend für die Menschheit betrachtet wird. Bei ihnen gibt es nie ein „Volk der Bewegung, der wirklichen und derzeitigen gemeinsamen Aktion für die gesellschaftliche Transformation“. Diese Reden lassen hören, dass in Wirklichkeit alles dazu neigt, sich in einer Verschwörung aufzulösen, die zwischen den Direktionen geschlossen wurde, oder dank eines Programms, das erneut den Leviathan des Staates auf den Plan rufen würde. Ein Staat als Eigentümer über alles und als Feind jeglichen Imperialismus. Die radikalsten Vorschläge kehren objektiv zu den guten alten Programmen eines großen Teiles der lateinamerikanischen Linken der dreißiger und vierziger Jahre zurück. Parteien wie die APRA (Peru), und die demokratische Aktion (Venezuela), und von denen man heute weiß, wie sie geendet haben. Wenn das Problem in Chávez und seiner Regierung besteht, bedeutet das, dass die echte revolutionäre Regierung wie ein Gott aus dem Olymp herabsteigt, der mit seiner göttlichen Kraft und mit mächtigen Befehlen und Dekreten einen absoluten souveränen nationalen Staat, im Rahmen einer neuen zivilisatorischen Vernunft, etabliert. Im Grunde handelt es sich dabei um eine Neuauflage des Wahnsinns, in dem viele alte Linksradikale verfangen waren (wenigstens deren konsequenteste Eliten), geistige Kinder sowohl des sowjetischen Marxismus als auch der Programme zur nationalen Befreiung und des Voluntarismus, der unserer amerikanischen Heimat eigen ist.

DIE GUTE KRITIK

Selbstverständlich gibt es andere Flügel „der Linken“, die ihre kritischen Einwände als neue liberale Linke vortragen, allesamt „Antichavisten“ – „Antibourbonniens“ wie Petkoff sagt6 – mit der rechten Opposition im Gefolge. Das Problem ist dann der „Tyrann-Despot“, der „Populist“, der „Antidemokrat“ Hugo Chávez, seine politische castristische Ideologie. Eine Logik, die man in einigen anarchistischen Gruppen wiederfindet (zum Beispiel um die Zeitung „Der Libertär“, leider sehr „salonanarchistisch“, für die das Problem mehr oder weniger dasselbe ist: Chávez ist der Militarist, Chávez ist detäre, usw.)

Aber bei allem Respekt ist es nicht in unserem Interesse, mit diesen Tendenzen zu diskutieren, entweder weil wir ihre politischen Feinde sind, oder einfacher, weil sie zur Debatte nichts beizutragen haben. Was uns dagegen interessiert, verfolgt man aus nächster Nähe und am aufmerksamsten die Entwicklung, ist eine andere kritische, wenn auch ein bisschen „naive“ Linke. Wir benutzen den Begriff „naiv“, weil wir zu denjenigen gehören, die das Glück gehabt haben, ein minimales theoretisches und politisches Gerüst zu erwerben, das uns erlaubt, diese Schwäche zu identifizieren. Aber dieses persönliche intellektuelle Privileg ist ohne Bedeutung hinsichtlich der Tatsachen. Aus dieser privilegierten Position heraus nehmen wir uns das Recht, diese Kritik, vielleicht zu Unrecht, „populär-moralisierend“ zu nennen. Ihre Kritik und politische Haltung als solche sind sehr simpel. Sie behaupten, dass Chávez ein ehrlicher Mann, ein wahrer Revolutionär, ein seinen Idealen verpflichteter Mann des Volkes ist, aber umgeben von einer Bande von Verrätern, korrumpierten heuchlerischen Leuten, die von seiner Autorität profitieren. Sie sind hauptsächlich in den Parteien der Regierung (s. Kasten) organisiert, die sie ihrerseits als die Hauptwerkzeuge zur Aneignung von Regierungsfunktionen und Posten im Allgemeinen, sowohl im Staat als auch in einem guten Teil der organisierten Volksöffentlichkeit, benutzen. Ihre Kritik folgt der Argumentation, dass die Hauptschwierigkeiten der Bolivarianischen Revolution die Korruption und die Bürokratie ist, und sie wiederholt ihre Gesamtunterstützung für den Präsidenten, entfernt sich aber immer mehr von den neuen Eliten, die den politisch repräsentativen Charakter des revolutionären Prozesses an sich reißen. Die wichtigste Dimension dieser Kritik ist nicht die Genauigkeit ihrer Analyse oder ihre theoretische Tiefe (ihre offensichtliche Schwäche ist die Idealisierung von Chávez, der Personifizierung der Macht), sondern, dass sie die einzige Kritik ist, die einen Massencharakter erworben hat. Sie machte sich „populär“ in allen Bedeutungsschattierungen dieses Begriffs, und nach und nach sah sie sich genötigt, qualitative Sprünge zu machen, die sie gezwungen haben, sich vom Kommentar der politischen Situation zu einem politischen Faktor und zur Konstruktion von politischen Strategien zu entwickeln, um den verhassten Feind der Bestechung und des Bürokratismus zerschlagen zu können. Diese Kritik ist möglich und auch notwendig in der aktuellen Phase des Klassenkampfs, um es einmal angemessen marxistisch auszudrücken. Es ist das, was wir im Projekt „Unser Amerika“ die Konstruktion einer „Vernunft für alle“ nennen. Sie ist nicht die erleuchtete „Vernunft“ des Selbstbewusstseins oder der hegelschen Selbstreflexion. Sie ist einfach der konkrete Raum des gemeinsamen Denkens, in dem der revolutionäre Prozess in seiner produktivsten und umgestaltendsten Matrize sich ausdrückt. Sie gebiert bereits großartige Mobilisierungsvorgänge von sozialer Respektlosigkeit, von Radikalisierung des anarchistischen und egalitären Geistes, von Selbstorganisierung die, in der Tat der Kernpunkt, das Wesentliche ist, was von der Bolivarianische Revolution im ideologischen Feld möglich gemacht wurde. Es ist auch der Raum, in dem alle unsere Hoffnungen Zuflucht suchen, nicht als arrogante AvantgardistInnen, sondern als revolutionäre SoldatInnen, die sowohl unter ihren materiellen Bedingungen wie auch nach ihrer Gefühlslage identisch mit diesem Volk sind.

WAS KÖNNEN WIR SAGEN UND WAS KÖNNEN WIR TUN ALS LINKE?

Über die Interpretationen in den Kreisen der Avantgarde oder der Öffentlichkeit hinaus ist es unserer Meinung nach in diesen Zeiten wichtig, wahrzunehmen, wohin sich eine soziale Bewegung entwickelt. Mag sie auch manches Mal dazu verleitet worden sein, sich entlang bürokratischer Regierungsstrukturen zu organisieren (Komitee für die Vergabe von Land, kommunale Räte, Komitees für Gesundheit, Energie und Wasser), so ist sie doch dabei, auf Distanz zu diesen Regierungsformen zu gehen und ihre eigenen Politiken und Strategien zu erarbeiten, indem sie eine kritische Einstellung gegenüber dem Staat insgesamt an den Tag legt und sich von Tag zur radikalisiert.

Mit den wichtigsten unabhängigen sozialen Bewegungen (Bauern, enteignete Betriebe, Studierende, Indigenas), ist diese organisierte Basis der Volksbewegung der unumgängliche Klassenbezug für die Ve der Revolution.

Wenn sie keine gemeinsame Bühne für die politische Aktion und den Aufbau eines Gesellschaftsprojekts findet, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Bolivarianische Revolution in den nächsten Jahren einen so großen Niedergang erleidet, dass sie als wirklicher Prozess der Ausübung der sozialen Gerechtigkeit, der Freiheit und des Aufbaus der nationalen Souveränität verschwindet, unabhängig von Chávez.

Wir erleben heute eine Zeit der „maximalen Konfusion“. Einerseits haben wir den imperialistischen Angriff gegen Venezuela, die Entwicklung des „Plans Balboa“ und des „Plans Colombia“ als militärische Angriffpläne gegen Venezuela und den Druck der Wahlen – die Kampagne der zehn Millionen Stimmen7 trägt zum Zusammenhalt der Volksbasis um Chávez herum und der Position der Regierung bei. Andererseits die institutionelle Zersetzung, in der wir immer offenkundiger leben, bei den städtischen und föderalen Regierungen (Rathäuser, Provinzen, in ihrer unermesslichen Mehrheit in den Händen „des Blocks der Änderung“) hat eine totale Erschöpfung zur Folge, die manchmal an Verzweiflung heranreicht. Tatsächlich sind auch die institutionellen Gremien an der Macht beunruhigt, was sie dazu verleitet, immer mehr zu versuchen, sowohl die sozialen Prozesse der Selbstverwaltung als auch die produktiven Arbeitererfahrungen im Bereich der Genossenschaften und der enteigneten Betriebe zu kontrollieren. Eine Situation höchster Verwirrung, in der die Führungen an der Basis dazu neigen, das seit mindestens vier Jahren immer wieder angewendete Schema zu wiederholen, nämlich: Schweigen, abwarten, die Lage verfolgen, sich von den Feinden nicht täuschen lassen; aber es reicht längst nicht mehr. Es ist jetzt notwendig, gemeinsam einen Schritt nach vorn zu machen. Bis heute waren die Versuche interessant, aber ungenügend (die Mobilisierung, die von Sektoren der Indigenabewegung, der Bergarbeiter, der Bauern und der Arbeiterschaft nitiiert wurde).

Wir haben außerdem das Problem des Staates als „Kooptationsmaschinerie“ und der Regulierung der aufständischen Prozesse. Der Staat versucht, sie zu neutralisieren, wenn er, wie bei den Bergarbeitern, unfähig ist, sie zu unterdrücken, indem er sie in Zentren der Verwaltung der Ressourcen umwandelt, die er ihnen für ihre Entwicklung abgibt. Diese Einbeziehung nimmt ihnen jede Kampfbereitschaft, indem sie die Tendenz zur „Entpolitisierung“ ihrer Aktion verstärkt, und indem sie sie als Körperschaft statt als bewusste Klasse festigt (dies ist die Situation eines guten Teiles der alternativen Kommunikatmmenhänge).

Dieser Zusammenhang spornt uns an, gemeinsam einen qualitativen Sprung nach vorn zu schaffen, um eine neue Lage zu begründen, die das Verhältnis zwischen der Regierung und der „nicht verwalteten“ Volksbewegung radikal ändern würde. Heute sind kritische und kampfbereite Gruppen im gesamten Land entstanden, und sie umfassen praktisch die Gesamtheit des an der Basis organisierten Umfelds. Sie richten sich aus verstreuten Kämpfen in Verteidigung der Bolivarianischen Revolution wieder auf, aber sind gleichzeitig ein zuverlässiger Ausdruck der Erschöpfung des institutionellen Schemas des Staates als eines zentralen Hebels des gesellschaftlichen ltungsprozesses.

Wir haben vorgeschlagen, Schritte nach vorn im künftigen Präsidentschaftswahlkampf (Dezember 2006) zu machen, indem wir eine alternative Dynamik schaffen, die auf die Synthese all dieser Programme durch Dialog und Mobilisierung der Massen ausgerichtet wird, und indem wir die Fahne des Antibürokratismus und der Bekämpfung der Korruption, gegen Kapitalismus und die imperialistische Aggression hissen. Wir schlagen als Motto vor: „Zehn Millionen drücken ihren Willen aus, die Revolution zu vertiefen“. Wir haben diese Kampagne „für alle unsere Kämpfe“ genannt. Eine „andere“ Kampagne8 auf dem venezolanischen Territorium, damit in seinem Zentrum die wirklichen Kämpfe atmen können, damit die passenden Worte gefunden werden, damit Basisgruppen sich organisieren, damit wir in der notwendigen Mobilisierung für die Grundlagen eines „unabhängigen Übergangsprogramms“, das von allen Gemeinschaften im Kampf geteilt wird, nicht alleinstehen. Die Idee besteht nicht darin, dieses Land auf die Wahlen zu begrenzen. Sie besteht darin, ihren Rahmen zu überschreiten, um am kommenden 27. Februar9 die Grundlagen eines Programms und eines gemeinsamen Plans in unseren Händen zu halten, der die wirksame Vertiefung des revolutionären Prozesses erlaubt. Es wird sogar davon gesprochen, einen Wahlzettel zu drucken, der allen Bewegungen gemeinsam ist, die an dieser Initiative teilnehmen, um ein Gegengewicht zu den Parteien der Regierung herzustellen.10 Es handelt sich um eine wichtige Entscheidung, aber, die immer im Hintergrund hinsichtlich der vorrangigen Zielsetzungen der Mobilisierung, der Zusammenkunft, des einander Zuhörens, des gegenseitigen Beistandes, der Erarbeitung eines Programms „der Armen“ bleiben wird, um ab dem nächsten Jahr eine neue Etappe des revolutionären Prozesses einzuleiten, der durch die Autonomie und die vereinheitlichte Radikalisierung der Volkskämpfe sich auszeichnet. Diese Kampagne muss in einem oder zwei Monaten beginnen, sobald wir erfolgreich in der Einberufung einer Einheitskonferenz, die „die Führung für alle unsere Kämpfe bilden soll“, geworden sind. Unsere Kreativität und unser politischer Wille werden für ihren Ausgang entscheidend sein, und wir wünschen uns, uns in einem gänz lich anderen Gelände wiederzufinden, in dem die Gleichheit und der Kampf für die Würde des Anderen und nicht die politische Instrumentalisierung des Kollektivs Priorität haben wird.

Die Regierung

Die Regierungskoalition setzt sich zusammen aus MVR (Bewegung für eine fünfte Republik), PODEMOS (wörtl. „Wir können!“, steht für POr la DEMOcracia Social), PPT („Vaterland für alle“, Patria para Todos) und aus anderen. Die Parteien sind meistens nur Wahlapparate, einzig autorisiert, bei den Wahlen Kandidaten aufzustellen. Historisch betrachtet ist der Wechsel von Wahlallianzen häufig und es ist oft mehr das Ergebnis von Verhandlungen um Postenvergabe im Staatapparat als das von politischen Projekten. Heute, trotz einer massiven Unterstützung für die Bolivarianische Revolution, misstraut die Basis weiterhin diesen Strukturen, die oft als Hindernisse für die Radikalisierung oder für die direkte Demokratie angeprangert wurden. Die MVR ist im Jahre 1997 gegründet worden, um Chávez eine Präsenz bei den Wahlen zu ermöglichen. Chávez ist im Prinzip der allgemeine Koordinator. Er drückt die Sensibilität sowohl von Soldaten als auch von Zivilisten in einem breiten politischen Rahmen aus. Man findet dort ehemalige revolutionäre Militante, Befürworter eines starken und zentralisierten Staates, sowie Liberale und Sozialisten. Aber diese Partei hat bis jetzt weder einen Kongress abgehalten noch eine Führung gewählt. PODEMOS ist die prochavistische Abspaltung der MAS, deren Führung die chavistische Koalition im Jahre 2000 verließ, um gegen die Radikalisierung der Maßnahmen zu protestieren. Die PPT besteht seit 1997. Sie ist die Folgepartei von La Causa Radical, eine Abspaltung der KP Venezuelas Anfang der siebziger Jahre. Sie war in ihrer Zeit die vielversprechendste Partei der radikalen Linken des Landes mit großem Einfluss in den Arbeiterkämpfen, den Stadtvierteln, der Lehrerbewegung. Im Jahre 1993 ist ihr Kandidat Erster bei den Präsidentschaftswahlen gewesen. Er wurde durch Betrug um seinen Sieg gebracht. Er beschloss, sich eher zu beugen, als den Weg der außerparlamentarischen Auseinandersetzung zu gehen. Seine Gegner in der Partei warfen ihm Kapitulation vor und gründeten die PPT. Die Beziehungen der PPT mit Chávez waren oft zäh, aber es ist eine Tatsache an der PPT, dass Chávez aus ihr seine wichtigsten Regierungskader für gute und schlechte Zeiten rekrutieren konnte. Unter den Parteien der Regierungskoalition muss man noch die KP Venezuelas erwähnen: die „rostfreie“ venezolanische kommunistische Partei. Gelenkt durch 80-jährige Greise konnte sie sich seit 50 Jahren an alle politischen Kurswechsel anpassen. Säule der demokratischen Revolution von 1958 gegen die Diktatur, ist sie Zielscheibe der Feindseligkeit der Sozialdemokraten geworden, die sie verfolgten und sie in einen Kurs der Guerilla (1962-1965) zwängten, die sie dann aber verließ, indem sie die durch Kuba unterstützten Truppen der PRV von Douglas Bravo als „linksradikal“ gebrandmarkt hat. Neu eingefügt im politischen Leben nimmt sie an der letzten christdemokratischen Regierung vor Chávez teil, die sie im Jahre 1998 unterstützt. Sie bekommt viel Sauerstoff unter der Regierung Chávez, denn sie ist die einzige, die in ihrem Namen eine antikapitalistische Perspektive trägt.






 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

* Roland Denis ist Aktivist im Projekt Unser Amerika – Bewegung des 13. April, einer der Strömungen der venezolanischen radikalen Linken. Wir haben bereits die Gelegenheit gehabt, in der französischen Inprecor die Analysen der AktivistInnen vorzustellen, die an dem Aufbau der Partei der Revolution und des Sozialismus beteiligt sind. (vgl. n° 510 Oktober 2005 und n° 515/516 von März/April 2006) Roland Denis legt hier eine etwas andere Orientierung vor.

Übersetzt aus dem Spanischen durch R.C.P., die Fußnoten sind von der Redaktion von Inprecor.

Übersetzung aus dem Französischen: Ron Dibani

1 Das „cimarronage“ ist eine der originellsten Komponenten des kulturellen Synkretismus „der Neuen Welt“, resultierend aus zahlreichen neuen künstlerischen Formen, die auf die Mischung der Kulturen der amerikanischen Indianer, der afrikanischen und der europäischen Kulturen zurückzuführen ist.

2 Ein Brennstoff, der in Venezuela aus einer Kombination von Wasser und des bituminösen, besonders schweren Erdöls geschaffen wurde.

3 Ein einheitliches Gasnetz, das von Venezuela bis nach Argentinien reicht.


4 Die Initiative zur Integration der regionalen Infrastruktur von Südamerika ist ein ausgedehntes Bauprogramm neuer Straßen, Brücken, Flusswege, energetischen Verbindungen und der Kommunikationsnetze besonders in den tropischen und Anden-Zonen. Es ist ein Teil der ALBA (Bolivarianische Alternative für America).

5 Das Zitat ist von Douglas Bravo. Douglas Bravo, ein langjähriger antiimperialistischer Aktivist, war Mitglied der Partei der Venezo¬lanischen Revolution (PRV) und leitete ihren bewaffneten Flügel, die Streitkräfte für die nationale Befreiung (FALN, 1962-1969). Er ist heute die Hauptführungskraft der Bewegung „Tercer Camino“ (Dritter Weg), einer Weiterentwicklung der PRV-FALN, deren Mitglied Hugo Chávez bis zum Jahre 1986 gewesen ist.

6 Teodoro Petkoff, ehemaliges Mitglied der PRV und der KP Venezuelas, gründet im Jahre 1971 die Bewegung für Sozialismus (MAS) auf einer Linie demokratischer Kritik des Stalinismus, bevor er sich in Richtung auf sozialdemokratische und sogar deutlich liberale Positionen entwickelt. Unter der Regierung von Rafael Caldera (letzte christdemokratische Regierung vor Chávez) war er Minister für Planung (Cordiplan) und hat ein neoliberales Programm zur Reduzierung der Inflation und der Größe der Verwaltung (Agenda Venezuela) umgesetzt. Er hat die MAS verlassen, als die Mehrheit beschloss, Chávez 1997 zu unterstützen. Er ist heute der sozialliberale Hauptvertreter der antichavistischen Linken und hat sich als Kandidat für die Präsidentschaftswahlen (Dezember 2006) angekündigt.

7 Damit kann die Legitimität der nächsten Wahlen – da die Rechte sich bereits als Verliererin sieht und beabsichtigt, die Wahl zu boykottieren – nicht bestritten werden. Chávez hat von angestrebten 10 Millionen Stimmen gesprochen.

8 Der Autor verweist hier deutlich auf die Zapatisten.

9 Hinweis auf den Volksaufstand vom 27. Februar 1989.

10 In Venezuela wählt man durch eine Partei. Man kann so für Chavez abstimmen, indem man für die PCV, die MVR oder jede andere Gruppe stimmt, die ihn als ihren Kandidaten aufstellt.