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Nokia und das Schauspiel:
"Ach, wie unanständig!"

Die Belegschaft wird fürsorglich belagert, damit sie nicht auf
dumme Gedanken kommt.

Von Angela Klein, Vorabveröffentlichung aus Sozialistische Zeitung (SoZ), Februar 2008

 

Wenn ausländische Unternehmen in Deutschland nach den Gesetzen der Konkurrenz fusionieren, produzieren und entlassen, gibt es regelmäßig einen nationalen Aufstand - so geschehen bei der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone, so jetzt wieder bei der Verlagerung von Nokia-Bochum nach Ungarn und Rumänien. Wenn deutsche Unternehmen - im Inland oder im Ausland - Subventionen abzocken und Konkurrenten aus dem Rennen werfen, beweist das nur, dass "wir" die Tüchtigsten sind. Kann ein Wirtschaftsmodell, das weltweit Gültigkeit beansprucht, auf einem solchen doppelten Standard aufbauen?

Die Heuchelei ist unerträglich: Die Politiker, die sich jetzt vor die Kameras schieben und vor Betroffenheit und Mitgefühl nur so triefen, sind dieselben, die die Verträge mit Nokia unterschrieben haben, und die jedem Konzern Millionen Subventionen hinterher werfen, der auch nur eine kleine Produktionsstätte in Deutschland aufbaut. Es waren Rüttgers und Merkel und ihresgleichen, welche die Gesetze gemacht haben, die es Unternehmen ermöglichen, Subventionen zu kassieren und sich danach aus dem Staub zu machen. Sie sind es, die - im Verbund mit Sozialdemokraten - in den vergangenen 15 Jahren ein EU-Vertragswerk aufgebaut haben, das als oberste Priorität für unsere Gesellschaft "den ungehinderten Wettbewerb" und den "freien grenzenlosen Kapitalverkehr" in einer erweiterten EU vorschreibt - zuletzt wieder bekräftigt im neuen EU-Vertrag, der dank Angela Merkel an die Stelle der EU-Verfassung getreten ist.

Rüttgers soll nichts gewusst haben?

Das soll man ihm nicht glauben. Wie der Kölner Stadtanzeiger am 18.Januar meldete, hat Nokia im März 2006 mit der Bezirksverwaltung im rumäni schen Cluj (Klausenburg) Verhandlungen über den Bau eines eigenen Dorfes (Nokia-Village) aufgenommen, in dem 5000 Beschäftigte Platz haben. Die Verhandlungen seien am 27.März 2007 abgeschlossen worden. Und Nokia soll die Landesregierung seitdem nicht darüber informiert haben, dass Bochum ein Jahr später geschlossen werden soll? Nokia ist kein Newcomer, die Produktionsabläufe werden lange im voraus geplant, und das Unternehmen kann kein Interesse an einem schlechten Verhältnis zur Politik haben.
Viel wahrscheinlicher ist, dass unser "Arbeiterführer" sich bislang nicht getraut hat, der Öffentlichkeit reinen Wein einzuschenken. Wut und Zorn lassen sich ja auch besser managen, wenn wenig Zeit bleibt, der Schnitt "kurz und schmerzhaft" ist und die Politik darauf hoffen kann, dass der Rauch sich bald wieder verzieht. Wäre die Belegschaft bereits vor einem Jahr informiert worden, hätte sie viel mehr Zeit gehabt, eine Widerstandsstrategie zu entwickeln. Gut möglich deshalb, dass Rüttgers im Einvernehmen mit Nokia die Beschäftigten und die Öffentlichkeit hinters Licht geführt hat.

Die freie Marktwirtschaft hat eine Bataille verloren, Ruhe ist die erste Bürgerpflicht.

Wenn Rüttgers jetzt Nokia als "unanständig" und als "Subventionsheuschrecke" bezeichnet, dann tut er so, als habe er heute vergessen, was er gestern noch gepredigt, in Gesetz gegossen und unterschrieben hat. Das aber steht fest: Er tut nur so. So dumm ist selbst Rüttgers nicht, dass e r nicht wüsste, er führt da gerade ein Schauspiel auf. Das Schauspiel aber muss sein. Es dient einem einzigen Sinn und Zweck: Dampf aus dem Kessel zu lassen. Die ganzen Hinweise auf die "moralische Verwerflichkeit" von Standortschließungen sind nichts als der Zuckerguss, mit dem die bittere Pille versüßt werden soll. Wenn Rüttgers sich vor die Nokia-Beschäftigten stellte und ihnen sagte: Tut mir leid, liebe Leute, das sind halt die Regeln der freien Marktwirtschaft, bliebe nicht nur von ihm nicht mehr viel übrig, sondern auch vom Nokia-Werk nicht. Seine oberste Pflicht als politischer Agent des Kapitals ist dafür zu sorgen, dass auch diese Betriebsschließung möglichst geräuschlos über die Bühne geht, die Wogen zu glätten und die Belegschaft zu beruhigen: Geht nach Hause, wir sorgen für euch. Die freie Marktwirtschaft hat eine Bataille verloren - Ruhe ist die erste Bürgerpflicht.
Auf dem Weg zur Erkenntnis, dass gegen den Abzug von Nokia nichts zu machen ist und die Arbeiter deshalb in den sauren Apfel beißen müssen - auf diesem Weg wollen Rüttgers und Schauerte und Frau Merkel und natürlich auch die Oppositionsparteien und die ganze versammelte bürgerliche Medienlandschaft die Belegschaft begleiten.
Natürlich lässt die Politik sie im Stich. Das Ergebnis dieser Runde steht fest: Nokia wird zugemacht, die Beschäftigten dürfen sich bei den ARGEn melden, bestenfalls wird der Sozialplan etwas aufgebessert. Soll es das gewesen sein?

Die Belegschaft von Nokia hat noch andere Mittel, sich zur Wehr zu setzen.

Sie kann beispielsweise verhindern, dass die Maschinen abtransportiert werden. Das muss rechtzeitig geplant werden, denn Nokia-Village in Rumänien ist fast fertig, die Testversuche mit der Handyproduktion laufen schon und das Management wird sich beim Betriebsrat nicht die Erlaubnis zum Abtransport der Maschinen holen.
Eine Werksbesetzung kann nicht unbedingt bewirken, dass der Standort Nokia-Bochum bleibt. Aber es ist eine Aktivität, die die Belegschaft zusammen halten kann, die Aufsehen erregt und das Thema "Arbeitsplätze" in der öffentlichen Debatte hält, unabhängig von den Entscheidungen Nokias.

Denn warum sollte es undenkbar sein, die Arbeitsplätze unabhängig von Nokia zu erhalten?

NRW hat zwischen 1995 und 1999 41 Mio. Euro Subventionen an Nokia gezahlt, der Bund 28 Mio. Euro - dafür dass 2856 Beschäftigte sieben Jahre lang Arbeit hatten. Darin sind Ausgaben für die Bereitstellung von Infrastruktur noch nicht enthalten. Diese Millionen wären an anderer Stelle besser und Arbeitsplatz sichernder angelegt gewesen. Warum erhalten große Konzerne überhaupt Subventionen? Weil um sie gebuhlt wird, Länder und Gemeinden sich gegenseitig ausstechen, wer am meisten Geld bereitstellt, und damit ihre Haushaltskasse ruinieren. Solche Subventionen sind hinausgeworfenes Geld.
Die Ultraliberalen sehen nun die Gunst der Stunde gekommen und fordern die komplette Streichung öffentlicher Subvention en. Der Wettbewerb zwischen den Standorten soll nur noch über die Qualität der Infrastruktur sowie über Qualität und Preis der Arbeitskraft ausgetragen werden. Konkurrenz um die billigsten Löhne macht Standorte aber auch nicht sicher und ruiniert obendrein die Haushaltskasse der Beschäftigten und ihrer Familien.
Die Frage ist nicht: Subventionen ja oder nein? Die Frage ist: Was wird subventioniert und zu welchem Zweck? Die Subventionierung kleiner Unternehmen, die an die Region gebunden sind und die versuchen neue, umweltschonende Technologien zu entwickeln, oder der Ausbau öffentlicher Dienstleistungen sind in aller Regel billiger und schaffen mehr Arbeitsplätze als die Unterstützung von Großkonzernen, die von einer Subventionsblume zur anderen hoppen.
Was würde die NRW-Landesregierung Nokia denn dafür bezahlen, dass der Standort bleibt? 40 Mio. Euro - oder mehr? Dann soll sie dieses Geld doch der Belegschaft geben, damit diese zusammen mit einem findigen Ingenieurbüro eine lokale Produktion ankurbeln kann.

Die EU windet sich ebenfalls elegant aus der Affäre.

Subventionen aus dem Strukturfonds der EU habe es für Nokia nicht gegeben. Mag sein. In den Industriepark aber, in dem Nokia sein neues Werk ansiedelt, sind 3,5 Mio. Euro EU-Mittel aus der Regionalförderung geflossen. Nokia sagt, nur der erste Bauabschnitt habe diese Fördermittel erhalten, der Bauabschnitt Tetarom II, in dem Nokia sich ansiedeln will, habe keine solche Mittel mehr erhalten.
EU-Mittel waren sicher aber auch an anderer Stelle willkommen, die ausschlaggebend war für Nokias Entscheidung, einen Teil der Produktion nach Rumänien zu verlagern: etwa für die Modernisierung des Flughafens, oder für den Ausbau und die wirtschaftsfreundliche Zurichtung der örtlichen Universität.
Und dass die EU Tetarom II nicht gefördert hat, heißt nicht, dass keine Subventionen geflossen sind: Der rumänische Staat und die Bezirksregierung haben für die Erschließung dieses Teils des Gewerbeparks 29 Mio. Euro hingelegt. Wetten, dass da auch was für Nokia hängen geblieben ist?
Hier wird aus Steuermitteln ein Infrastrukturwettbewerb finanziert, der nur global operierenden Konzernen zugute kommt, aber nicht der Regionalwirtschaft vor Ort. Übrigens auch in Rumänien nicht. Marktforscher unken, Nokia werde höchstens zehn Jahre in Rumänien bleiben; in absehbarer Zeit werde die komplette Handyproduktion nach Asien verlegt sein (heute: 70%) - spekuliert wird über eine Verlagerung von Forschung und Entwicklung nach Indien und von Produktionsstätten nach Vietnam, das noch billiger ist als China.
Ist man in Düsseldorf und Berlin dagegen jetzt machtlos? Nein. Rüttgers und Merkel und all die anderen heulen nur über eine Politik, die sie selber beschlossen und zu verantworten haben. Sie könnten sie auch ändern - wenn sie wollten.
Die Beschäftigten von Nokia - und mit ihnen die Beschäftigten aus vielen anderen Unternehmen - sollten den Abgeordneten im Bundestag einen zornigen Besuch abstatten, wenn diese mal wieder die Hand heben für den neuen EU-Vertrag. Da steht nämlich all das drin, wogegen man in Bochum derzeit protestiert.

Angela Klein

Dieser Artikel erscheint in der Sozialistischen Zeitung, Februar 2008