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Bube, Dame, Gorleben, Asse

Die Sünden der Atomindustrie

von Rolf Euler - SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2009


Die massiven Versuche der Energiekonzerne, den unter der rot-grünen Regierung beschlossenen Atomausstieg rückgängig zu machen, sind bei der CDU auf offene Ohren gestoßen, bei der FDP sowieso. Immer wieder wird behauptet, wenn man von den CO2-Emissionen herunter wolle, müsse man gut gehende Atomkraftwerke länger laufen lassen als vorgesehen, weil alternative Energien nicht in der nötigen Menge zu Verfügung stehen können. Dagegen weisen die Atomgegner immer wieder auf die ungelöste und sich zuspitzende Frage der Endlagerung des Atommülls hin. In diesem Spiel wurden nun die „Karten” neu gemischt.

In den letzten Wochen kamen die Sünden der Atomindustrie und ihrer politischen Förderer massiv zum Vorschein. Der neueste Bube im Blatt der Atomkonzerne ist Forschungsminister Riesenhuber, der während der Regierungszeit von Kohl mit einem Druckbrief dafür sorgte, dass ein Gutachten über den Salzstock Gorleben zugunsten eines endlagerfähigen Standortes umgeschrieben wurde. Die Bedenken aus dem ursprünglichen Gutachten über mögliche Wasserzuflüsse wurden innerhalb von wenigen Tagen mehr oder weniger gestrichen. Die Änderungen zugunsten des Endlagers machten das Gutachten endlich zum Mittel der Atomindustrie und der sie stützenden politischen Kräfte.
Die Dame in dem Stück spielt Angela Merkel, die Physikerin, die ebenfalls der CDU-Meinung ist, dass die Laufzeiten verlängert werden müssen und die Förderung der Atomenergie nach den Wahlen mit einer schwarz-gelben Regierung vorangetrieben werden soll. Allein die Laufzeitenverlängerung würde die Müllmengen deutlich erhöhen, da immer mehr abgebrannte Kernstäbe anfallen, die jetzt schon in aufwendigen Transporten in die Aufbereitungsanlage nach Frankreich und danach in das bisherige Zwischenlager Gorleben transportiert werden. Die CDU setzt sich dafür ein, Gorleben als Endlager zu bestimmen und gar keine anderen Standorte mehr zu erkunden. Zu Recht fürchten deshalb die Gegner der Atomenergie, allen voran die Bürgerinitiative in Lüchow-Dannenberg, dass das noch gar nicht untersuchte Bergwerk in Gorleben klammheimlich doch zum Endlager wird, indem einfach Fakten geschaffen werden.

Eine weitere Dame kam zuletzt ins Spiel, weil wieder einmal vor den Wahlen ein Gutachten nicht herausgebracht werden sollte. Es handelt sich um die Nachfolgerin von Riesenhuber, Wissenschaftsministerin Frau Schavan. Das Gutachten empfiehlt wieder den Bau weiterer Atomkraftwerke, allerdings auch die Suche nach Alternativen für ein Endlager in tonigen Schichten. Umweltminister Gabriel spielt den Empörten, rechtzeitig vor der Wahl will er für die SPD punkten.

Das Bergrecht hilft

Gorleben hofft, dass weder der Bube noch die Dame mehr stechen kann, weil das gefälschte Gutachten aufgedeckt wurde. Die Bürgerinitiative ist schließlich König des Widerstands.

Noch eine weitere Karte kommt ins Spiel: Zum geologischen kommt noch ein rechtlicher Trumpf ins Blatt der Atomgegner. Die bisherige Erkundung des Salzstocks in Gorleben hinsichtlich seiner Tauglichkeit als Endlager erfolgt nach einer atomrechtlichen Regelung aus dem Jahre 1978. Darin verpflichteten sich die Grundbesitzer, ihre Rechte an der Salzgewinnung aufzugeben zugunsten der Erforschung des Salzstocks — bis zum Jahre 2015. Das damals für die Endlagerung zuständige Bundesamt für Strahlenschutz ist nicht Besitzer des Salzes, das Amt hat mit einigen Eigentümern des Salzstocks lediglich befristete Nutzungsverträge abgeschlossen. Darin wird nur die Erkundung des Salzstocks und der Betrieb eines Erkundungsbergwerks, nicht jedoch die Endlagerung erlaubt.

Das liegt am niedersächsischen Bergrecht, welches den Grundeigentümern auch das Recht auf Ausbeute des darunter liegenden Bodenschatzes, in dem Fall des Salzes, erlaubt. Das Recht, den Salzstock auszubeuten, wurde durch die Verträge mit dem Bundesamt aufgegeben, jedoch nur bis 2015. Wenn die Eigentümer den Pachtvertrag nicht verlängern, ist die Erkundung des Salzstockes sowieso ausgeschlossen, es sei denn, ein regelrechtes Enteignungsverfahren gegen die Grundbesitzer würde angestrengt. Das dürfte in der Gegend, die seit langem den Widerstand gegen die Atomkonzerne organisiert und politisch trägt, kaum durchzusetzen sein.
Aber der Widerstand in Gorleben und im Wendland kann sich sicher nicht auf diese rechtlichen Fragen verlassen. Dass Umweltminister Gabriel aufgrund der wieder aufgefundenen Rechtsdokumente und angesichts der Gutachtenfälschung davon sprach, der Standort Gorleben sei „tot”, sollte keinen beruhigen. Entscheidend scheint eher ein anderes As, das seit Wochen auf dem Tisch liegt. Diese Karte wurde durch intensives Nachforschen beim Endlager Asse aufgedeckt. Die Asse ist das langjährige Lager für schwach- und mittelaktive Abfälle der Atomwirtschaft bzw. der Forschungsinstitute. Auch hier handelt es sich um ein Salzbergwerk, dem — wie sich inzwischen zeigt — bedenkenlos alles „anvertraut” wurde, was an Atomabfällen anfiel.

Nicht nur dem bergmännisch Tätigen oder Erfahrenen graust es vor den nun bekannt gewordenen Zuständen im Bergwerk. Fässer mit radioaktiven Stoffen sind in die Salzkavernen gestürzt, wurden, zum Teil ohne Kontrolle, ohne sicheren Stand, mit Salz oder Beton abgedeckt, und aus den umliegenden Gesteinsschichten strömt unkontrolliert Wasser in die Salzlager, das ist seit Zeiten bekannt. Dort wurde die dreifache Menge an Plutonium eingelagert als angegeben. Bekannt wurde auch, dass die zuströmenden Wasser bereits Räume ausgelaugt haben, die nun einzustürzen drohen. Und dass Beschäftigte ohne Sicherungen in der Umgebung radioaktiver Lauge tätig waren, von denen einer auf Berufsschaden klagen muss, weil er eine typische Art von Leukämie bekam, die bisher nicht anerkannt wurde. Bekannt wurde, dass 1966 der Firma Siemens sogar die Ablagerung von hochradioaktivem Müll erlaubt wurde, obwohl das gar nicht genehmigungsfähig war.

Salz gilt den Befürwortern der Lagerung von Atommüll als viele Millionen Jahre alte sichere Gesteinsformation. Bergmännische Erfahrung zeigt, dass Salz aber nicht stabil genug ist, wenn es erstmal abgebaut wurde und wenn es Wasserzuflüsse gibt, die das Salz auslaugen können und Hohlräume entstehen lassen. Danach kann Lauge wieder in die umliegenden Gesteinsschichten sickern. Bei Asse besteht die Gefahr, dass nach einem Einbruch des Salzstocks die radioaktiv verseuchte Lauge über die nebenstehenden Gesteine in die Weser oder die Elbe gelangen kann — ein „Worst-case-Szenario” nicht nur für die Anwohner. Ein Untersuchungsausschuss des niedersächsischen Landtages „kümmert” sich inzwischen um das Bergwerk Asse und die Möglichkeiten, dort Sicherheit zu schaffen.

Wer einmal unter Tage in alten Grubenräumen gearbeitet hat, der weiß, was für ein langwieriges und oft gefährliches Unternehmen es ist, zuerst überhaupt einmal die Standsicherheit der Grubengebäude (wieder) herzustellen, um dann eventuell eine Umlagerung der Fässer, die Sicherung von flüssigen verseuchten Gewässern oder sogar einen Transport zu Tage vornehmen zu können. Im Salzbergwerk herrschen sicher andere Bedingungen als im Ruhrbergbau, dessen alte Strecken und Strebe vorn vornherein nie als Lager für gefährliche Güter infrage kamen — obwohl auch hier Müll und Abfallstoffe eingelagert wurden.
Sollten in Gorleben, das immerhin für viele Tonnen hochradioaktiven Abfalls herhalten soll, ähnliche Problem bestehen wie in der Asse, dürften allein die dortigen Erfahrungen ausreichen, nicht nur den Widerstand der Bevölkerung weiter anzuheizen, sondern auch den beteiligten Wissenschaftlern und Ingenieuren nachdrücklich auf dem Gewissen zu liegen, dass sie nicht erneut mit Gefälligkeitsgutachten die Lage beschönigen. Die bunte und große Demonstration in Berlin hat gezeigt, dass in Atomenergie die Karten nicht nur von Industrie und Politik gemischt werden.