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Deutschand

Arbeitslosigkeit wird 2010 steigen

Von Dietmar Henning - 9. Januar 2010 - wsws.org


Im angebrochenen Jahr wird die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland voraussichtlich stark ansteigen. Die herrschende Elite in Wirtschaft, Politik und Staat bereitet sich mit sozialen und politischen Angriffen darauf vor.

Im Dezember 2009 stieg die Zahl der Arbeitslosen zwar nur leicht auf knapp 3,3 Millionen, wie die Bundesagentur für Arbeit (BA) am Dienstag in Nürnberg mitteilte. Doch für dieses Jahr rechnen Bundesregierung und Arbeitsmarktexperten mit einem Anstieg auf bis zu 4,1 Millionen Menschen. Denn das von der Regierung verlängerte Kurzarbeitergeld, das Unternehmen bisher den Verzicht auf Kündigungen ermöglichte, läuft aus.

Kurzarbeit, bei der die Unternehmen ihre Beschäftigten in Zwangsurlaub schicken und dafür Zuschüsse von der Bundesagentur erhalten, sowie der Abbau von Überstunden und Arbeitszeitkonten haben verhindert, dass die Arbeitslosigkeit bereits im letzten Jahr drastisch angestiegen ist. Im Mai 2009 zählte die BA über 1,5 Millionen Kurzarbeiter, zum Jahresende waren es schätzungsweise immer noch etwa eine Million. Für 2010 erwartet die BA eine Halbierung der Zahl auf 530.000 Kurzarbeiter.

Auch der Ausbau des Dienstleistungsbereichs hat dafür gesorgt, dass die Beschäftigung 2009 weniger stark sank als befürchtet. Während im vergangenen Jahr über 270.000 Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe vernichtet wurden, kamen allein im Gesundheits- und Sozialwesen 131.000 neue Arbeitsplätze hinzu - meist im Niedriglohnbereich. Dem Verlust von 277.000 Vollzeitarbeitsplätzen stehen 250.000 neu entstandene Teilzeitjobs gegenüber.

Ein nicht geringer Teil der Arbeitslosen fällt außerdem aus der Statistik schlicht heraus, weil sie in irgendeiner Maßnahme untergebracht wurden oder keinerlei Leistungen beziehen. So geht aus einer Bilanz der BA hervor, dass im vergangenen Jahr 843.000 Arbeitslosen zeitweise das Arbeitslosengeld I gesperrt wurde, 102.000 oder fast 14 Prozent mehr als im Jahr zuvor.

Als Grund wurde die Zunahme der Sperrzeiten wegen zu später Arbeitslosmeldungen angegeben. Gekündigte Arbeitnehmer müssen sich spätestens drei Monate vor Beschäftigungsende arbeitslos melden. Wer kurzfristiger von seiner Entlassung erfährt, muss dies den Agenturen binnen drei Tagen mitteilen. In den meisten Fällen (rund 585.000) sperrten die Arbeitsagenturen die Auszahlung des Arbeitslosengeldes I für eine Woche. Aber mehr als 193.000 Arbeitslose mussten zwölf Wochen lang auf Arbeitslosengeld verzichten.

Die Situation auf dem Arbeitsmarkt und damit auch die Schikanen gegen die Arbeitslosen werden sich verschärfen.

Das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH) erwartet, dass die Zahl der Erwerbstätigen bis 2011 um eine Million sinken wird. IWH-Konjunkturchef Oliver Holtemöller sagte der Berliner Zeitung, sein Institut erwarte in diesem Jahr einen Rückgang der Beschäftigung um deutlich mehr als 700.000, für das folgende Jahr um weitere 250.000. "Die Firmen müssen wieder ihre Produktivität steigern", sagte Holtemöller, deshalb würden viele Unternehmen ihre Beschäftigten in die Arbeitslosigkeit entlassen.

Zusätzlich zur steigenden Arbeitslosigkeit wird die schwarz-gelbe Bundesregierung in den kommenden Jahren viele Milliarden Euro im sozialen Bereich einsparen, nachdem sie den Unternehmen und Reichen Steuergeschenke verabreicht hat. Die noch von der vorherigen Regierung aus CDU/CSU und SPD im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse verpflichtet die jetzige dazu, die Neuverschuldung von nahezu 100 Milliarden Euro in diesem Jahr bis 2016 auf 10 Milliarden Euro zurückzufahren..

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wird schon bald einen strikten Sparkurs einschlagen. Deutschland brauche einen "fundamentalen Kurswechsel hin zu einer tragfähigen und nachhaltigen Finanzpolitik, die auch den Bedürfnissen der zukünftigen Generationen Rechnung trägt", sagte er in einem Interview mit der Nachrichtenagentur APD. "Ohne die Kürzung von Ausgaben wird es dabei nicht gehen", betonte er. Die Bundesregierung müsse sich in allen Politikbereichen fragen, "ob wir mit dem Geld die richtigen Schwerpunkte setzen und prüfen, wie wir die vorhandenen Mittel effizienter einsetzen können."

Während die CDU/CSU - zumindest bis zu den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen im Mai 2010 - nicht offen über die geplanten Angriffe sprechen möchte, gehen andere in die Offensive.

So besteht die FDP auf weitere Steuersenkungen vor allem für Spitzenverdiener. Sie fordert die Einhaltung des Koalitionsvertrags, in dem ein Stufentarif für die Einkommenssteuer mit Entlastungen von jährlich rund 24 Milliarden Euro vereinbart ist. Da die Liberalen mit ihrer Politik ausschließlich die Wirtschaft und Spitzenverdiener bedienen und von reicheren Schichten - oder solchen, die es werden wollen - gewählt werden, müssen sie keine Rücksicht auf Arbeitslose und Arme nehmen - und nehmen sie auch nicht.

Die FDP-Fraktionschefin im Bundestag, Birgit Homburger, forderte Anfang des Jahres im Hamburger Abendblatt ein Festhalten an den geplanten Steuersenkungen und betonte im gleichen Atemzug: "Wir werden die Schuldenbremse einhalten." Dazu müssten im Bundeshaushalt dauerhafte Einsparungen möglich sein. Sie schlug Kürzungen "beispielsweise bei der Bundesagentur für Arbeit oder auch im Etat des Familienministeriums" vor. Bei der Krankenversicherung fordert die FDP eine Kopfpauschale, einen einheitlichen Beitrag für alle. Der Manager soll genauso viel zahlen wie sein Dienstbote oder Chauffeur, Familienmitglieder nicht mehr kostenlos mitversichert werden.

Der Vorsitzende im Sachverständigenrat der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der so genannten "Fünf Weisen", Wolfgang Franz hatte bereits Ende des letzten Jahres gefordert, angesichts der derzeitigen Wirtschaftsentwicklung den Grundbetrag des Arbeitslosengelds II (Hartz IV) von derzeit 359 auf 251 Euro monatlich zu senken. Im Dezember 2009 hatten rund 6 Millionen Erwachsene Hartz-IV-Gelder bezogen.

Nun hat Franz, nochmals im Interview mit Welt Online, diese Forderung untermauert. Er begründete sie mit der auch in den nächsten Jahren anhaltenden Wirtschaftskrise: "Wir werden frühestens Ende 2012 oder sogar erst 2013 wieder die gleiche Wirtschaftsleistung wie Anfang 2008 erreichen." Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) rechnet übrigens erst 2014 damit.

Der 65-jährige Wolfgang Franz war 1994 auf Empfehlung der Gewerkschaften in den Sachverständigenrat berufen worden, 2003 drängten dann die Unternehmer auf seinen Verbleib im Sachverständigenrat, den er seit 2009 leitet.

Auch die Verteidigung von Bagatellkündigungen durch die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts Ingrid Schmidt in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung muss als Vorbereitung auf scharfe soziale Angriffe gesehen werden. Schmidt signalisierte dem Unternehmerlager, dass die höchste Instanz des Arbeitsrechts auf ihrer Seite steht. Sie erklärte Kündigungen wegen kleiner Vergehen, etwa einer verzehrten Frikadelle oder eines Pfandbons, seien völlig selbstverständlich. Es gäbe in diesem Sinne überhaupt keine Bagatellen.

Die Personalchefs in den Unternehmen wird es freuen, diese klaren Worte aus dem Munde der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts zu hören. Können sie doch so in den kommenden Monaten, wenn sie Beschäftigte entlassen, auf teure Abfindungen verzichten. Ein Grund für eine Kündigung wird nach Schmidts Äußerungen schnell gefunden sein: Eine mitgenommene Schraube, ein Kugelschreiber, eine private Fotokopie, ein Telefonat, Fax oder der "entwendete" Strom, mit dem das private Handy aufgeladen oder das Radio betrieben wird.

Lange hat die Justiz sich bemüht, den Anschein der Überparteilichkeit zu bewahren. Doch je stärker sich die soziale und wirtschaftliche Krise zuspitzt, desto offener zeigt sie - wie einst in der Weimarer Republik - wieder ihren Klassencharakter.

Wenn es um sie selbst geht, ist die herrschende Elite nicht ganz so kleinlich. So berichtete Spiegel Online über ein Urteil des Oberlandesgerichts Celle, das "die fristlose Kündigung eines Geschäftsführers auf(hob), der im Verdacht stand, mit einer firmeneigenen Kreditkarte Privatausgaben von umgerechnet rund 83 Euro bezahlt zu haben. Begründung: Ein derart geringfügiger Betrag allein rechtfertige keine außerordentliche Kündigung."

Auch die Abfindungen ausscheidender Manager erklommen 2009 trotz Krise neue Rekordhöhen. Der scheidende Porsche-Chef Wendelin Wiedeking, der durch Finanz- und Börsenspekulationen den Sportwagenhersteller fast ruiniert hatte, erhielt bei seinem Abgang eine Rekordabfindung von 50 Millionen Euro. Der Chef des insolventen Arcandor-Konzerns (Quelle, Karstadt) Karl-Gerhard Eick wurde nach nur sechs Monaten im Dienst mit 15 Millionen Euro ausgezahlt. Der Chef des Reifenkonzerns Continental kassierte bei seinem Ausscheiden 7,4 Millionen Euro, um drei Monate später hoch bezahlt bei VW anzuheuern. Bahnchef Helmut Mehdorn konnte sich mit einer Abfindung in Höhe von 4,9 Millionen Euro trösten, als er im März 2009 wegen der Datenaffäre den Chefsessel räumen musste.

Millionen Arbeiter spüren die Wirtschaftsflaute schmerzhaft am eigenen Leib. Unterdessen hämmern die Berliner Parteien und die Wirtschaft der arbeitenden Bevölkerung ein, man müsse noch weiter sparen und den Gürtel enger schnallen. Wasser predigen und Wein trinken! Mit zunehmender Krise zeigt die Gesellschaft ihren wahren Klassencharakter.