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ArbeiterInnen als verfügbare Masse

Chinesische Beschäftigung im wirtschaftlichen Abschwung

Au Loong-yu aus labornet.de - November 2009


Die globale Finanzkrise fordert inzwischen auch in China ihren Tribut. Chinas Exporte sind rapide gesunken. In der Provinz Guangdong, deren Exportproduktionszonen 20 Mio. ArbeiterInnen beherbergen, wurden Zehntausende WanderarbeiterInnen entlassen und sind in ihre Heimatdörfer zurückgekehrt. Die Zahl der heimkehrenden Wanderarbeiter soll für ganz China laut unterschiedlicher Schätzungen bei vier bis neun Mio. liegen. Ende Januar 2009, wenn die Feiertage um das chinesische Neujahr beginnen, werden weitere Millionen nach Hause fahren. Viele von ihnen werden dort bleiben müssen, denn die Welle der Fabrikschließungen wird sich bis dahin noch verstärkt haben.

Die Lasten auf die ArbeiterInnen abwälzen

Tausende WanderarbeiterInnen haben erleben müssen, wie ihre Arbeitgeber verschwinden, ohne ihnen die ausstehenden Löhne zu bezahlen. Sie müssen darum kämpfen, wenigstens einen Teil der Löhne noch zu bekommen. Straßenblockaden und Demonstrationen sind kein seltenes Bild. Wenn ihre Aktionen groß genug sind, gelingt es den ArbeiterInnen häufig, die lokalen Behörden dazu zu zwingen, ihnen zumindest genug für die Heimreise in ihre Dörfer zu bezahlen. Damit kommen die Behörden allerdings nicht nur den Forderungen der Beschäftigten nach, sondern handeln auch zum eigenen Vorteil: Schließlich ist es viel sicherer, die WanderarbeiterInnen nach Hause zu schicken, als ganze Reservearmeen arbeitsloser und mittelloser Menschen in den Städten zu behalten. Schon zu Beginn des ökonomischen Abschwungs hatten die Zentralregierung sowie die Provinzregierungen hastig angekündigt, ökonomische Anreize schaffen zu wollen, um die entlassenen WanderarbeiterInnen dazu zu bewegen, nach Hause zurückzukehren und auf ihren kleinen Parzellen Landbau zu betreiben oder kleine Unternehmen zu gründen. Obwohl auch davon gesprochen wird, die Arbeitsplätze der Wanderarbeiter schützen zu wollen, beschränkt sich dieser Schutz entweder auf bloße Appelle an die Unternehmen, bei den Entlassungen „umsichtig“ vorzugehen, oder auf aktive Unterstützung der Unternehmen im Hinblick auf Kredite, um deren Liquidität aufrecht zu erhalten. Dabei kann die Verfügbarkeit von Krediten zwar vielleicht die Folgen von Fabrikschließungen abmildern, sie hat aber keinen direkten Einfluss auf die Beschäftigtenzahlen. Denn obwohl reihenweise Fabrikschließungen zwangsläufig Massenarbeitslosigkeit verursachen, bedeuten weniger Fabrikschließungen nicht unbedingt, dass die Arbeitslosigkeit sinkt. Das US-Hilfsprogramm für die Banken hat weder dazu geführt, dass diese wieder bereitwilliger Kredite geben, noch hat es ihre Neigung verringert, Beschäftigte zu entlassen. In China steht ähnliches zu erwarten. Kurz: der aktuelle Rettungsplan kommt den Unternehmen zu Gute, nicht den Beschäftigten.

Darüber hinaus helfen die Zentralregierung und die Provinzregierungen den Arbeitgebern praktisch dabei, die Lasten der Wirtschaftskrise auf die ArbeiterInnen abzuwälzen. Das Ministerium für Humanressourcen und Soziale Sicherheit hat am 17. November 2008 ein Einfrieren des Mindestlohns verkündet, „um den Firmen zu helfen, sich gegen den wirtschaftlichen Abschwung zu behaupten“.1 Prompt wies die All-China Federation of Trade Unions (ACFTU) der Provinz Guangdong die ArbeiterInnen an, mit den Bossen an einem Strang zu ziehen, um die Krise zu überwinden, und kollektive Lohnverhandlungen bei angeschlagenen Unternehmen zu unterlassen. Der Guangzhou Daily wandte sich mit dem Aufruf an die Beschäftigten, es müssten „alle beteiligten Parteien dazu beitragen, die Schwierigkeiten gemeinsam zu überwinden“.2

Die Regierung hat ein Konjunkturprogramm von vier Billionen Yuan (ca. 418 Mrd. Euro) angekündigt, das die Wachstumsrate auf 8 Prozent halten soll. Die offiziellen Medien versichern der einfachen Bevölkerung, dieses Ziel sei vorrangig: Es werde helfen, Arbeitsplätze zu erhalten.

Der Economist vom 15. November 2008 stellt die Vermutung an, das Wachstum werde in China nächstes Jahr ohne Regierungshilfe wohl auf unter 6 Prozent sinken. Nun kann das Konjunkturprogramm dem Vertrauen der Unternehmen vielleicht wieder auf die Beine helfen, aber kann es das Wachstum auch bei 8 Prozent halten? Optimisten mögen darauf hinweisen, dass China im Gegensatz zu den USA keine Probleme mit Subprime- Krediten und Schattenbanken hat. Chinas Banken sind gesünder geworden, seit die Regierung um die Jahrhundertwende uneinholbare Außenstände im Wert von Milliarden Yuan von ihnen übernommen hat. Heute bestehen nur noch 6 Prozent statt,wie damals, 40 bis 50 Prozent ihrer Bestände aus faulen Krediten. Darüber hinaus sind sowohl die individuelle Haushaltsverschuldung als auch die Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP gering, jedenfalls viel geringer als in den meisten Ländern.3 Pessimisten andererseits beharren darauf, dass Chinas Ökonomie ein Wachstum von 8 Prozent trotz Konjunkturprogramm nicht wird halten können, da der Außenhandel 70 Prozent im Verhältnis zum BIP beträgt, was für ein großes Land ein ungewöhnlich hoher Anteil ist, und da entsprechend ein riesiger Anteil des Investitionsvolumens an der Exportproduktion hängt.

 
 

Rettungspaket für die Reichen, steigende Arbeitslosigkeit für die Bevölkerung

Auch wenn das Konjunkturprogramm die Wachstumsrate 2009 bei 8 Prozent halten könnte, brächte das wenig für die Schaffung von Arbeitsplätzen. Chinas Wachstum findet nämlich schon seit langem ohne eine entsprechende Zunahme von Arbeitsplätzen statt. 2005 hat die Internationale Arbeitsorganisation ILO eine Studie über den Zusammenhang zwischen dem Wirtschaftswachstum und der Schaffung von Arbeitsplätzen erstellt. Dabei fand sie heraus, dass zwischen 1990 und 2002 ein Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 9,3 Prozent jeweils nur zu einer Arbeitsplatzzunahme von 0,8 Prozent geführt hat, während es im produzierenden Gewerbe sogar zu einem Rückgang von Arbeitsplätzen kam. Nicht verwunderlich also, dass die Arbeitslosenquote trotz bislang üppigen Wirtschaftswachstums hoch ist. Der aktuellen offiziellen Arbeitslosenquote von 4 Prozent wird allgemein wenig Realitätsgehalt beigemessen. Die Chinese Academy of Social Science sieht die Quote vielmehr bei 9,4 Prozent.4 Auch dies ist aber eine zu niedrige Schätzung, denn sie beinhaltet nicht die in ihre Dörfer zurückgekehrten WanderarbeiterInnen. Unter dem hukou-System zur Registrierung von Haushalten werden WanderarbeiterInnen vom Land selbst dann in den Städten noch als Fremde betrachtet, wenn sie dort seit einem Dutzend Jahren arbeiten. Daher werden ihnen grundlegende soziale Rechte vorenthalten, auf die Stadtbewohner einen Anspruch haben, z.B. formelle Arbeitsverhältnisse mit sozialer Absicherung, Bildung für ihre Kinder, bezahlte medizinische Versorgung etc.

Noch empörender ist aber: Während die Arbeitslosenversicherung inzwischen die ungeheure Summe von 120 Mrd. Yuan angehäuft hat, besteht für die lokalen Behörden nur wenig Anreiz, den Arbeitslosen nun auch Hilfen daraus auszuzahlen. Die Zahlen sind nicht öffentlich zugänglich, aber in Guangzhou soll die Arbeitslosenversicherung im September 2008 bei einem Bestand von 8,5 Mrd. Yuan lediglich 0,3 bis 0,5 Mrd. Yuan an die Arbeitslosen ausgezahlt haben. Nach dem Grund gefragt, sagte ein zuständiger Beamter: „Wir haben von der Zentralregierung keine Direktiven erhalten, wie das zu handhaben ist.“5 Die meisten WanderarbeiterInnen vom Land sind von Auszahlungen ausgeschlossen, da sie nicht als Stadtbewohner, sondern nur als nongmingong gesehen werden, also wörtlich als „Landarbeiter“.

Wirtschaftswachstum hat aber nicht nur mit der Schaffung von Arbeitsplätzen, sondern auch mit Lohnzuwachs wenig zu tun. Nach einem Bericht der Weltbank ist in China der Anteil der Löhne am BIP zwischen 1998 und 2005 von 53 auf 41,4 Prozent gesunken (zum Vergleich: 57 Prozent in den USA).6 Das Mindestlohngesetz hat wenig dazu beigetragen, diesen Lohnverfall aufzuhalten, weil er so niedrig ist, dass er kaum mehr als 30 Prozent des Durchschnittslohns entspricht (zum Vergleich: 50 Prozent in Thailand und den USA).

Für Arbeitsplätze und Löhne bedeutet das: Selbst wenn es mit Hilfe des Rettungspaketes gelingt, das Wirtschaftswachstum in diesem Abschwung bei 8 Prozent zu halten, wird dies auch weiterhin nicht dazu führen, genügend Arbeitsplätze zu schaffen. Und wenn die Wachstumsrate unter 8 Prozent rutscht, werden trotz des Konjunktur-programms ein unmittelbarer, noch gravierenderer Anstieg der Arbeitslosigkeit sowie sinkende Löhne die Folge sein. Das wird besonders deutlich, wenn wir uns den Inhalt des Paketes ansehen. Trotz einer Rhetorik, die auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und auf die Sicherung des Lebensunterhalts der Menschen abhebt, beinhaltet das Paket nur wenige Ressourcen, die direkt darauf abzielen, den Anteil der Löhne und Sozialleistungen auf ein vernünftiges Niveau zu heben. Nach wie vor wird dem Aufruf zu einer Reform der sozialen Absicherung nicht nachgekommen, die eine kostenlose Gesundheitsversorgung und höhere Bildung beinhalten müsste, ein wirksameres Arbeitslosen- und Rentenversicherungssystem mit einem höheren Beitrag des Staates etc. In Missachtung des wichtigen Argumentes, dass eine umfassendere soziale Sicherung den Menschen ein Gefühl von Sicherheit geben und sie dazu motivieren würde, ihr Geld auszugeben, anstatt es zu sparen, ist laut Newsweek lediglich ein Prozent des gesamten Paketes für Gesundheitsversorgung, Kultur und Bildung vorgesehen. Huang Ming, Professor der USamerikanischen Cornell University, der in Beijing an der Cheung Kong Graduate School of Business lehrt, sagt: „Es liegt im Interesse der Regierung, schnell ein Netz sozialer Absicherung zu entwickeln. Das wird den Konsum ankurbeln. [Die Chinesen] sparen, weil sie Angst haben, krank zu werden.“7 Die Sparquote liegt in China bei 46 Prozent (zum Vergleich: in den USA bei Null). Das wirkt in einem wirtschaftlichen Abschwung kontraproduktiv, da weniger Geld in den Konsum fließt. Dennoch gibt es wenig Anzeichen dafür, dass die Regierung auf den Wohlfahrtsstaatsdiskurs einschwenkt. Ein Großteil der vier Billionen Yuan wird für Infrastruktur ausgegeben. Das schafft zwar Arbeitsplätze, kann aber aufgrund seines kapitalintensiven Charakters nicht so viele ersetzen, wie in der Exportproduktionsbranche verloren gehen. Darüber hinaus wird der Bau von Straßen und Eisenbahnen nicht unbedingt eine stotternde Wirtschaft anschieben, solange Investoren nicht daran glauben, dass sie ihre Produkte auch verkaufen können – und dieses Vertrauen können sie bei steigender Arbeitslosigkeit nicht haben.

Da es weder Transparenz noch demokratische Kontrolle gibt, wird die Regierung das Rettungsgeld wohl kaum gerecht verteilen. Selbst die zensierte Presse hält es für notwendig, vor Korruption zu warnen. Der Legal Daily konstatiert, das Paket werde „einen scharfen Konkurrenzkampf der Provinzregierungen um Projekte“ mit sich bringen, und „hinter diesen großen Projekten steht immer die große Korruption.“8 Ein Teil des Paketes ist für den Wiederaufbau in der Region Sichuan gedacht, wo ein Erdbeben den Kreis Wenchuan zerstört hat. Seit Mai 2008 wurden 40 Mrd. Yuan gespendet, aber zu Winteranfang gab es immer noch 100.000 Opfer, da runter viele Kinder, die noch nicht einmal ein Paar Winterschuhe besaßen.9 Das erinnert uns wieder einmal daran: Von dem Paket werden zuallererst die Machteliten profitieren.

 

Arbeiterin in der chinesischen Schuhfabrik von Adidas-Salomon.

Modell für wen?

Seltsamerweise gibt es Beobachter, die China als Modell für Entwicklungsländer sehen – oder sogar für die ArbeiterInnen – und die dem Aufstieg von China Beifall zollen als einem Entwicklungsmodell, das eine Alternative zum Neoliberalismus biete. Hier ist kein Platz, um diesem Thema auf den Grund zu gehen. Ich möchte lediglich darauf hinweisen, dass China in fast jedem Detail dem Kurs von Korea folgt: ein autoritäres Regime, das aktiv schnelle Akkumulation und Exportorientierung auf Kosten der Werktätigen unterstützt, indem es den letzteren grundlegende Bürger- und Arbeitsrechte verweigert.10

Ich habe das anhaltende Sinken des Lohnanteils am BIP erwähnt. Nun würde ich gerne die andere Seite derselben Medaille diskutieren: Der Anteil des Profits am BIP ist im selben Zeitraum dramatisch angestiegen. Der chinesische Wissenschaftler Wang Lianli schreibt, dass das Verhältnis zwischen Löhnen und Profit in der Produktion zwischen 1990 und 2005 von 1:3,1 auf 1:7,6 gestiegen ist.11 Neben extravaganten Konsumausgaben investieren oder sparen die Neureichen ihr Geld, daher die extrem hohe Sparquote und Investitionsrate. Jahrzehntelang betrug der Investitionsanteil an Chinas BIP über 40 Prozent, ist damit doppelt so hoch wie in den USA und liegt an der Spitze der größten asiatischen Länder, inklusive Korea zu seinen besten Industrialisierungszeiten.12 Dennoch können die Kräfte der kapitalistischen Entwicklung die Polarisierung zwischen Reich und Arm nicht verschärfen, ohne damit der weiteren Entwicklung Steine in den Weg zu legen. Hohe Profite nehmen die Löhne in die Zange und verursachen so eine langfristige Abnahme des privaten Konsums. Zwischen 1992 und 2006 ist der Anteil des privaten Konsums am BIP von 47 auf 36 Prozent gesunken, während er in Südkorea, Indien, Großbritannien, Australien und Japan über 50 Prozent beträgt.13 Die Weltbank stellt fest, dass ein Großteil des Konsumrückgangs in China mit dem Sinken des Lohnanteils am BIP erklärt werden kann. So erzeugt Chinas schnelle Akkumulation auf Basis der brutalen Ausbeutung von ArbeiterInnen und BäuerInnen ihrerseits ein massives Ungleichgewicht zwischen Konsum und Investitionen, bzw. präziser: Unterkonsumtion und Überinvestition.

 
Telekom-Produzent Huawei in Shenzhen

Damit bleibt Produktionskapazität ungenutzt, was wiederum eine steigende Abhängigkeit von Exporten zur Folge hat, wenn die Investitionen etwas abwerfen sollen. Mit einem US-Markt in der Rezession ist dieses chinesische Modell am Ende.

Bereits vor dem Beginn der USKrise war sich die Regierung der Schwäche ihres Wachstumsmodells bewusst. Im April 2008 sprach Präsident Hu Jintao von der Notwendigkeit, den Entwicklungsmodus vom exportgeleiteten Wachstum zu einer stärkeren Betonung einheimischen Wachstums zu verschieben, indem man die einheimische Nachfrage ausweitet. Kein Wachstumsmodell kann allerdings ohne gewisse Restrukturierung geändert werden, und die Restrukturierung selbst wird nicht wohlfeil zu haben sein. Die einzige Frage lautet: Wer muss dafür bezahlen? Wie immer muss die Antwort auf diese Frage zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen ausgehandelt werden, entweder auf institutionellem Weg oder durch soziale Aktionen. In einem Land, das keine grundlegenden Bürger- und Arbeitsrechte garantiert, begünstigen die Kräfteverhältnisse zwangsläufig massiv die Starken (Bürokratie und Unternehmer). Damit ist wohl unvermeidlich, dass die Beschäftigten, vor allem die WanderarbeiterInnen die größte Last der Restrukturierung werden tragen müssen. Die 150 Millionen MigrantInnen vom Land werden zur ver-fügbaren Masse: Wenn die Geschäfte gut laufen, werden sie hergerufen, um zwölf Stunden am Tag in den Sweatshops zu knechten. Dann wird ihnen sogar das Recht auf Kündigung verweigert, wenn sie lieber wieder zurück in ihre Dörfer gehen wollen, anstatt weiter sklavereiähnliche Arbeitsbedingungen zu ertragen.14 Wenn die Geschäfte schlecht laufen, wird ihnen gesagt, sie sollen nach Hause gehen und ihr jämmerliches Stück Land bestellen. In gewisser Weise ist der Status der WanderarbeiterInnen als BürgerInnen zweiter Klasse mit dem der Frauen als zweitem Geschlecht unter kapitalistischen Bedingungen vergleichbar: als letzte eingestellt und als erste gefeuert, wenn die Krise kommt. Im Licht dieser neuen Erfahrungen in der Krise erscheint es doppelt abwegig, China als alternatives Modell für die Werktätigen hochzuhalten.

Man muss verstehen, dass wir hier nicht wie schon seit zwanzig Jahren Zeugen eines normalen Wirtschaftszyklus werden. Dies ist vielmehr eine Krise im Kern des chinesischen Wachstumsmodells und damit nicht einfach eine wirtschaftliche, sondern auch eine gesellschaftliche Krise. Ähnlich wie Korea wird auch China zwangsläufig mit seiner eigenen Krise konfrontiert, wenn die US-geführte Globalisierung gegen die Wand läuft. Damit will ich nicht sagen, dass China zwangsläufig eine genauso schwere Krise wie den USA bevorsteht; das würde uns auf ein zu weites Feld führen. Unsere Sorge gilt der Tatsache, dass selbst bei einem moderaten Abschwung die Konsequenzen für die werktätigen Menschen gravierend sind, vor allem für die WanderarbeiterInnen vom Land. Immerhin ist hier etwas Neues zu beachten: Die ArbeiterInnen sind sich heute ihrer Rechte in einem viel höheren Maße bewusst als noch vor zehn Jahren. Die größten Erfolge ihrer spontanen Streiks während der letzten zehn Jahre sind nicht nur die ökonomischen Errungenschaften, sondern der faktische Zusammenbruch des Streikverbots. Streiks sind so häufig geworden, dass das Verbot praktisch nicht mehr gilt. Die lokalen Behörden müssen sich nun auf den wachsenden Widerstand einstellen. Gewerkschaftliche Organisierung ist immer noch ausgesprochen schwierig. Dennoch wird sich die immer gieriger und korrupter agierende Elite im kommenden wirtschaftlichen Abschwung mit einer werktätigen Bevölkerung – oder zumindest mit einem Teil davon – konfrontiert sehen, die zunehmend darauf gefasst ist, den Attacken der Elite Widerstand entgegenzusetzen.

5. Januar 2009

Quelle: www.labournet.de/internationales/cn/au1.pdf

Übersetzung: Anne Scheidhauer

1 Dies wurde etwas mehrdeutig als „temporäre
Aussetzung der Anpassung der Mindestlöhne“
präsentiert. Schließlich kann „die Aussetzung
der Anpassung“ sich auf eine Aufwärtswie
auf eine Abwärts-Anpassung beziehen. Im
Kontext der Verlautbarung gesehen, war aber
wohl von ersterer die Rede.


2 Guangzhou Daily, 19. November 2008

3 The Economist, 15. November 2008


4 http://www.21cbh.com/Content.asp?NewsId=58091

5 http://www.21cbh.com/Content.asp?NewsId=57844

6 China Economy Quarterly Update, Februar
2007, World Bank Beijing Office, S. 6

7 http://www.newsweek.com/id/174524

8 http://legaldaily.com.cn/2007shyf/2008-11/14/content_981205.htm

9 Ming Pao, 12. Dezember 2008


10 Mit einer Ausnahme: Korea hat im Gegensatz
zur Erfahrung Chinas ausländische Kapitalinvestitionen
während seiner ganzen Industrialisierungsperiode
abgelehnt.


11 „Tigao laodong baochou, zheli yu chuci fenpei
„, von Wang Lianli, Xianggang Chuanzhen
(Hong Kong Fax), hrsg. von Research Department
of Citic Pacific, No. 2007-90, S. 8


12 “Rebalancing China’s Economy”, He and
Kuijs, World Bank China Research Paper No. 7

13 “A Workers’ Manifesto for China”, The Economist,
11. Oktober 2007

14 Diejenigen, die sich eher zur Wehr setzen und
die sich „Barfuß-Anwälte“ (Autodidakten
ohne formelle Anwaltskonzession) leisten können,
werden sich von diesen Beschwerdebriefe
schreiben lassen, um von den Arbeitgebern
freigegeben zu werden und ihre Löhne ausgezahlt
zu bekommen. Diejenigen, die sich nicht
so leicht zur Wehr setzen, werden gezwungen
sein zu bleiben. Die Gesetze erlauben den Arbeitgebern
diese Praktiken zwar nicht, aber solange
die Beschäftigten keine grundlegenden
bürgerlichen Freiheiten genießen, werden Arbeitsrechte
im Allgemeinen nicht durchgesetzt.
Andersherum werden ArbeiterInnen im momentanen
wirtschaftlichen Abschwung entlassen,
bevor ihre Verträge auslaufen – ebenfalls
in Verletzung iher Arbeitsrechte