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Mustafa Barghouti über die Belagerung des Gazastreifens

Kollektive Bestrafung
aus SoZ Nr.9 - September 2006

Während Israel Beirut und andere Ziele im Libanon unter Beschuss nimmt, droht die andauernde Belagerung des Gazastreifens die palästinensische Demokratie zu ersticken. Mustafa Barghouti schreibt aus Gaza und ruft zu internationalen Solidaritätsaktionen für das palästinensische Volk auf.

Ich schreibe, nachdem ich zwanzig Tage in Gaza verbracht habe, wo ich wahrscheinlich eine der schlimmsten Formen kollektiver Bestrafung einer ganzen Bevölkerung erlebt habe. Wir haben gesehen, wie Israel die Infrastruktur zerstört und eine Bevölkerung von 1,4 Millionen Menschen einer schweren humanitären Krise und schrecklicher Demütigung aussetzt. Gleich zu Beginn ihrer Aktionen hat die israelische Armee das einzige Elektrizitätswerk in Gaza zerstört. Die Wasser- und Abwasserversorgung konnten jeden Augenblick zusammenbrechen. Wir sind extrem beunruhigt über die Möglichkeit einer ernsten Krise des öffentlichen Gesundheitssystems.

Täglich bombardieren israelische Flugzeuge den Gazastreifen. Zusätzlich fliegen israelische F16-Kampfflugzeuge sehr niedrig und verursachen so massiven psychologischen Stress, besonders unter Kindern, aber auch bei Erwachsenen. Die Belagerung ist vollständig und niemandem wird erlaubt, aus Gaza heraus- oder dort hineinzukommen. 5000 Menschen sitzen am Übergang Rafah fest, darunter viele Patienten, die außerhalb des Gazastreifens behandelt wurden und nun nicht mehr nach Hause können. Hunderte benötigen dringend eine medizinische Behandlung außerhalb und können nicht raus.

Das ist nur ein Schlaglicht auf die Situation. Es geschieht nicht, weil die Palästinenser einen israelischen Soldaten als Kriegsgefangenen festgenommen haben. Das ist bloß ein Vorwand. 50 Tage vor dieser Gefangennahme hatte Israel 77 Luftangriffe geflogen und 4000 Bombenangriffe mit Panzer und Artillerie durchgeführt, was den Tod von 94 Palästinensern zur Folge hatte, hauptsächlich Zivilpersonen und vor allem Frauen und Kinder.

Aber Israel hat auch den demokratischen Prozess in Palästina erstickt, indem es 27 Abgeordnete und acht Minister der Regierung entführt hat. Sie wurden vor Gericht gestellt, als ob sie nicht einige Monate zuvor vor den Augen Israels gewählt worden wären. Auf einmal hat Israel entdeckt, dass es Akten mit Strafverfahren gegen sie in der Hand hat.
Das alles deutet darauf hin, dass das israelische Rechtssystem lediglich ein Instrument der israelischen Besatzungsarmee und der israelischen Regierung ist, um nach Belieben handeln zu können.

Der sog. Olmert-Plan zerstört die Vorstellung von Verhandlungen und einer Zwei-Staaten-Lösung, er verwandelt einen unabhängigen Palästinenserstaat in gefängnisähnliche Einheiten. Die Mauer, die gerade gebaut wird, wird viermal so lang werden wie die Berliner Mauer und dreimal so lang wie die wirkliche Grenze zwischen dem Westjordanland und Israel. Das ist kein Friedensplan, das ist ein Plan zur Annexion von nicht weniger als 46% des Westjordanlands, einschließlich ganz Ost-Jerusalems, des gesamten Jordantals und aller Gebiete, auf denen jüdische Siedlungen sind. Die Verbindung zwischen den Städten, Dörfern und Gemeinden im Westjordanland wird unterbrochen und zerstört.

Mit diesem Plan soll die von Israel in den besetzten Gebieten geschaffene Apartheid gefestigt werden. Der Angriff auf Gaza ist Israels Versuch, den palästinensischen Widerstand gegen die Besatzung und gegen Olmerts Plan zu brechen. Diesen Versuch gab es ganz unabhängig von der Gefangennahme eines israelischen Soldaten. Der Angriff auf Gaza wurde seit den Wahlen in den Palästinensergebieten vorbereitet, seit Israel realisierte, dass es nicht mehr möglich sein würde, den Palästinensern Abkommen aufzuzwingen, ohne dass diese von den gewählten Vertretern in Palästina gebilligt werden.

Es ist wahrhaft schockierend zu sehen, dass es keine internationale Verurteilung dieser Verbrechen gibt und niemand eingreift, um die elementare Verletzung von Menschenrechten und des Völkerrechts zu stoppen. Dies hat Israel in seiner Weigerung bestärkt, auf die Gefangennahme des israelischen Soldaten im Gaza im Wege der Diplomatie zu reagieren, ähnlich handelte es, als zwei Soldaten im Libanon gefangen genommen wurden.

Der israelische Soldat könnte sicher zu seiner Familie zurückkehren, wenn Israel der Freilassung einiger palästinensischer Gefangener zustimmen würde. Natürlich hat dieser Gefangene eine Familie und wir empfinden mit ihr. Ich weiß, dass diese Familie will, dass die israelische Regierung verhandelt. Sie hat die Regierung dazu aufgefordert. Stattdessen führt Israel Krieg.

Es gibt 10000 palästinensische politische Gefangene in Israels Gefängnissen. Einige von ihnen sind seit 28 Jahren im Gefängnis. Darunter sind 450 Kinder und nicht weniger als 150 Frauen. Einige Frauen haben im Gefängnis Kinder zur Welt gebracht und sind nun zusammen mit ihren kleinen Kindern im Gefängnis. Wenn ein Kind, das zusammen mit seiner Mutter im Gefängnis ist, zwei Jahre alt wird, wird es von seiner Mutter getrennt, statt dass die Mutter freigelassen wird.

Zur schrecklichen Situation im Gazastreifen kommen noch die israelischen Angriffe auf verschiedene Städte im Westjordanland hinzu — auf Jenin, Tulkarem, Ramallah, Jericho und viele andere Gemeinden und Dörfer. Die Armee — es ist die viertgrößte der Welt — scheint in den besetzten Gebieten ihre Waffen testen zu wollen. Sie greift eine zivile Bevölkerung an, die keine Armee hat, um sich zu verteidigen. Das kann man nur als Kriegsverbrechen bezeichnen.

Nur einen Tag vor dem Angriff auf den Gazastreifen einigten sich alle palästinensischen Gruppen und politischen Fraktionen auf eine noch nie da gewesene nationale Plattform. Bekannt als das "Dokument der Gefangenen", akzeptiert sie eine Zwei-Staaten-Lösung. Alle Gruppen, einschließlich Hamas, würden sie akzeptieren. Alle waren sich einig, sich hauptsächlich auf einen nicht gewaltsamen Massenwiderstand der Bevölkerung zu konzentrieren, das Völkerrecht und die UNO-Charta als Grundlage für eine Lösung des Konflikts zu akzeptieren und eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden.

Dieses Dokument ist eine wirkliche palästinensische Friedensinitiative, für einen Frieden mit einem Minimum von Gerechtigkeit. Doch wie schon 1982 in Beirut im Libanon und im Jahr 2000 im Westjordanland untergräbt Israel diese Bemühungen durch die Eskalation des militärischen Konflikts.

Israel genießt die Unterstützung einer gewaltigen internationalen Lobby. Es wird nicht gestoppt werden, wenn sich ihm nicht eine internationale Solidaritätsbewegung entgegen stellt, welche die Rechte der Palästinenser und die Sache der Gerechtigkeit im Nahen Osten unterstützt. Die internationale Linke muss uns auf jede mögliche Weise helfen, die Wahrheit über das, was in den palästinensischen Gebieten geschieht, an die Weltöffentlichkeit zu bringen. Es gibt eine starke Voreingenommenheit in den internationalen Medien für die israelische Darstellung der Ereignisse. Es ist absolut wesentlich, dass die Wahrheit zu den Menschen gelangt. "Alles", so sagt mein Freund Daniel Barenboim, "alles beginnt mit Wissen."

Wir brauchen auch Aktionen zur Beendigung der Besatzung. Dazu gehören auch Sanktionen gegen das israelische militärische Establishment. Es ist eine Schande, dass viele Länder, die behaupten, die Menschenrechte oder die Demokratie zu unterstützen, nun über dieses Massaker an der palästinensischen Demokratie schweigen. Es ist eine Schande, dass so viele Länder, die behaupten, dass sie die Menschenrechte respektieren, militärische Ausrüstung aus Israel importieren.

Israel ist der viertgrößte Rüstungsexporteur der Welt. Israels Einkommen besteht zu 20% aus Rüstungsexporten und der Unterstützung von Kriegen in verschiedenen Teilen der Welt. Wir rufen auf zu möglichst vielen Aktionen zur Unterstützung von Sanktionen und Boykottkampagnen gegen die israelische Besatzung.

Das ist kein Konflikt zwischen zwei Armeen. Es ist ein Kampf von Menschen, die seit fast vierzig Jahren unter einer Besatzung leben, der längsten in der modernen Geschichte. Es ist ein Kampf von Menschen, die wie alle nach Frieden und Sicherheit streben. Wir brauchen eure Unterstützung.

Mustafa Barghouti ist Vorsitzender der Partei "Unabhängiges Palästina". Er unterlag Mahmud Abbas bei den Präsidentschaftswahlen 2005.

Übersetzung: Hans-Günter Mull