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Hohe Preise – und die Löhne?

Stéphanie Treillet - aus Inprekorr Nr. 442/443 September/Oktober 2008


Der Verfall der Kaufkraft der Lohnabhängigen und die jüngsten Preissteigerungen
für Lebensmittel und Energie rücken das Problem der Inflation wieder in den öffentlichen Blickwinkel.

Unter Inflation versteht man die fortgesetzte und allgemeine Erhöhung der Verbraucherpreise. Um zu verstehen, welche Funktion sie in den Abläufen des modernen Kapitalismus spielt, bedarf es eines kurzen Rekurses auf das marxistische Verständnis von Wert und Warenpreis.

In der kapitalistischen Produktionsweise wird der Wert, zu dem Waren ausgetauscht werden, durch die für ihre Herstellung notwendige Arbeitszeit bestimmt. Die dem Kapitalismus innewohnende Tendenz zur Steigerung der Produktivität führt dazu, dass man immer weniger menschliche Arbeit benötigt, um immer mehr zu produzieren. Der Warenwert nimmt dadurch langfristig ab. Aber trotzdem kommt es selten vor, dass die Preise zurückgehen.

Die Verkaufspreise ergeben sich auf der Grundlage dieses Tauschwerts, der die grundlegende Stellgröße in der Funktionsweise des Systems darstellt, und sie schwanken um ein Niveau, das durch einander überlappende Konflikte auf drei Ebenen beeinflusst wird: in erster Linie durch den Konflikt zwischen Kapital und Arbeit, weiter durch die Konkurrenz zwischen den einzelnen KapitalistInnen und durch das Kräfteverhältnis zwischen den verschiedenen Kapitalfraktionen.

Indem die KapitalistInnen permanent bemüht sind, die Ausbeutungsrate der Lohnabhängigen so weit als möglich zu erhöhen – primär durch die Arbeitslosigkeit und die Prekarisierung – befinden sie sich zugleich untereinander in Konkurrenz. In Beziehung zueinander treten sie beim Verkauf ihrer Produkte auf dem Markt. Dort teilen sie ihre Beute – den Gesamtpro- fit, der aus der Ausbeutung der Arbeitskraft entstanden ist. Mit anderen Worten: Der einzelne Kapitalist erhält bei diesem Prozess nicht direkt den Mehrwert, den er aus seinen Beschäftigten herauspresst, sondern einen Teil des Gesamtmehrwerts. Diese Aufteilung erfolgt entlang der Preise, die auf dem Markt erzielt werden, und führt zu einem Ausgleich der Profitraten unter den einzelnen konkurrierenden KapitalistInnen. Dies erfolgt natürlich nicht auf dem Wege einer wechselseitigen Vereinbarung am grünen Tisch, sondern ergibt sich durch das Kräfteverhältnis, das aus der gegenseitigen Konkurrenz entsteht. Aus diesem Grund können die ausgewiesenen Verkaufspreise mehr oder weniger dauerhaft vom Tauschwert abweichen.

Daneben besteht ein permanenter Konflikt über die Verteilung des Mehrwerts zwischen den einzelnen Kapitalfraktionen: dem Industriekapital, dem Finanzkapital und dem Handelskapital, wobei diese verschiedenen Funktionen durchaus in einer Unternehmensgruppe nebeneinander existieren können. Die Zinsquote und die Verbraucherpreise bilden dabei die Bestandteile dieser Aufteilung zwischen den einzelnen Fraktionen des Gesamtkapitals. Je höher die Zinsen liegen, desto größer ist der Anteil, der an das Finanzkapital geht. Je höher die Verbraucherpreise sind, desto höher sind – gemessen an den Produktionskosten – die Gewinnspannen für das Handelskapital (mittlerweile dem Großhandel).

Unter diesen Bedingungen kann man die Inflation als das Ergebnis eines Konflikts definieren, der auf die Aufteilung der produzierten Reichtümer zielt, und mitunter stellt sie einen der Mechanismen dar, die die KapitalistInnen zur Aufrechterhaltung ihrer Profitraten benutzen.

INFLATION UND WACHSTUM

Das Wirtschaftswachstum in der Nachkriegsperiode in Westeuropa und den USA ging einher mit einer zunächst „schleichenden“, später galoppierenden Inflation, die in Frankreich in den 70er Jahren bei über 13 % lag. Dem lag ein für die Arbeiterklasse relativ günstiges Kräfteverhältnis zugrunde, wo die KapitalistInnen durch die Erhöhung der Verbraucherpreise die Nominallohnerhöhungen, die ihnen abgetrotzt wurden, wieder wettmachen wollten. Die Lohnentwicklung war demnach an die Preisentwicklung gekoppelt. Die Konkurrenzbedingungen – monopolartige Konzentration in den einzelnen Branchen und relative Abschottung der nationalen Märkte – gewähren den Unternehmen den Spielraum, weitgehend die Preise zu erhöhen, um dadurch ihre Profitraten zu bewahren, ohne Marktanteile zu riskieren.

Daneben erhält die Inflation ein Wachstum aufrecht, das weitgehend auf der Verschuldung sowohl der Unternehmen – womit eine sehr hohe Akkumulationsrate finanziert wird – als auch der Beschäftigten basiert – letzteres in Form aufgeblähter Verbraucherkredite, was den Unternehmensabsatz garantiert. Die Inflation begünstigt die Schuldner: Liegt sie über dem Nominalzins, fallen die Rückzahlungen weniger ins Gewicht. Eine Preiserhöhung um 10 % bedeutet eine Verringerung der Tilgungslast um 10 %.

Insofern galt Inflation lange als der Motor für Wachstum und Beschäftigung in den Goldenen 30ern und als Mittel zur Abschwächung sozialer Konflikte, indem die Profite genau so schnell stiegen wie die Löhne. Warum erschöpfte sich dieser Mechanismus seit den 70er Jahren? Ernest Mandel erläutert, dass die Inflation als Mechanismus, der den Ausbruch der Widersprüche des Kapitalismus zu verzögern hilft, diese Widersprüche schließlich in zugespitzter Form zum Tragen bringt. Indem sie „die Kaufkraft der Währungen permanent aushöhlt, stürzt sie letztlich das internationale Währungssystem in eine äußerst schwere Krise“.1 Außerdem ermöglicht sie zwar eine leichte Finanzierung der Akkumu-lation und des Konsums, aber letztlich behindert sie die Abläufe des Kapitalismus, indem sie die Wiederherstellung der Profitraten ermöglicht.2

Auf der einen Seite entlastet sie die Schuldner, auf der anderen unterhöhlt sie in gleichem Maße die Pfründe der Gläubiger. Auf diese Weise hat sie während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu dem beigetragen, was Keynes die „Euthanasie der Rentiers“ genannt hat. Diese haben sich nie damit abgefunden, und der Monetarismus war schließlich ihre Waffe, mit der sie wieder an die Macht gelangten. Im Oktober 1979 war die drastische Zinserhöhung der FED in allen Ländern die Initialzündung zu einer Politik, deren vorrangiges Ziel bis heute die Eindämmung der Inflation auf alle Zeit ist.

AUFSTAND DER RENTIERS

Diese Politik hat ihre Ziele weitgehend erreicht. Seit Mitte der 80er Jahre liegt die Inflationsrate auf niedrigem Niveau – zwischen 2 und 3 % in den Industrieländern, im Frankreich der 90er Jahre sogar unter 2 % – was durch das Zusammenwirken mehrerer Mechanismen erreicht wurde. Zunächst einmal durch den Finanzmarkt, d. h. durch die freie Kapitalzirkulation und die Finanzierung der Großunternehmen durch die Ausgabe von Anleihen anstelle von Bankkrediten. Die Staaten finanzieren ihre Defizite durch die Ausgabe öffentlicher Anleihen. All dies festigt ab den 80er Jahren die unbestrittene Herrschaft des Finanzkapitals – zugleich Bedingung und Konsequenz der Umkehrung der Kräfteverhältnisse zu Lasten der Lohnabhängigen und der Absenkung der Lohnbestandteile am Mehrwert.3 1983 wird in Frankreich von Jacques Delors die gleitende Lohnskala abgeschafft.

Der zweite Mechanismus ist die monetaristische Politik, die den Forderungen des Finanzkapitals entspricht. Die Regierungen machen sich untereinander Konkurrenz, um Kapital anzuziehen, das auf der Suche nach lukrativen Anlagen ist, indem sie ihm durch eine geringe Inflationsrate einen konstanten Wert der Anleihen versprechen und deren Attraktivität noch darüber hinaus durch eine immer geringere Besteuerung erhöhen. Die Schaffung der Eurozone steht unter dem Vorzeichen einer geradezu zwanghaften Antiinflationspolitik: zuerst die Konvergenzkriterien, dann die Zinserhöhungen durch die EZB zu Lasten von Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung.

Der dritte Mechanismus besteht schließlich in der Zuspitzung der internationalen Konkurrenz, wobei für die geringe Inflationsrate nicht in erster Linie die sehr niedrigen Preise der im-portierten Konsumgüter aus den „konkurrierenden“ Schwellenländern sind. Deren Angebot an billigen Waren mag zwar in den Industrieländern den Konsum stützen, ohne dass die Löhne erhöht werden müssen, aber der Preisvorteil wird durch die hohen Gewinnmargen der Importeure und Großhändler stark relativiert. In erster Linie jedoch unterminiert diese verallgemeinerte Konkurrenz weltweit die Kampf- und Verhandlungsbedingungen für Lohnerhöhungen durch Erpressung mit Standortverlagerungen und höhere Renditeansprüche der Unternehmen. Dadurch wiederum wird Massenarbeitslosigkeit erzeugt, was seinerseits dazu beiträgt, den Lohnbestandteil am Mehrwert zu senken. Die Konkurrenz zwischen den Unternehmen vollzieht sich viel mehr als früher vermittels der Preise. In der Folge wird dieser Druck weitergegeben an die ganze Kette von ZwischenhändlerInnen und letztlich an alle Lohnabhängigen der Welt.4

In Frankreich reichte – wie auch in anderen Ländern – die Abschwächung der Inflation nicht aus, um den Kaufkraftverlust auszugleichen, da die Lohnerhöhungen systematisch unterhalb der Teuerungsrate liegen. Der Verfall der Kaufkraft liegt somit noch höher als zu Zeiten höherer Inflation.

INFLATIONÄRE TENDENZEN?

Seit 2007 besteht eine Zunahme der Teuerungsrate, die bei 3,4 % in den Industrieländern, bei 3,6 % in der Eurozone und bei 3,2 % in Frankreich zwischen Feb. 07 und Feb. 08 liegt. Bei diesem Rhythmus könnte die Inflation 2008 5 % erreichen. Hauptverantwortlich dafür sind Preissteigerungen für Agrarprodukte (71 % für Weizen zwischen Okt. 06 und Okt. 07) und Energie. Diese Steigerungen resultieren aus der gestiegenen Nachfrage aus den Schwellenländern (Indien und China v. a.), aus dem vermehrten Anbau von biosprittauglichen Pflanzen und – in jüngster Zeit – auch aus Spekulationen, die nach der subprime-Krise in den USA vermehrt im Rohstoffsektor getätigt werden. Durch diesen Boom werden – wenn auch in überschaubarem Umfang – die Preise für Nahrungsmittel und besonders für Molkerei-und Getreideprodukte beeinflusst, was am meisten natürlich bei den ärmsten Haushalten durchschlägt. Auch andere Erzeugnisse werden zunehmend teurer. Handarbeitsprodukte bspw., die sich 2005 und 2006 um durchschnittlich 0,4 % verbilligt hatten, steigen seit Juli 2007 wieder im Preis.

Dennoch lässt sich nicht eindeutig behaupten, dass inflationäre Tendenzen sich wieder allgemein und dauerhaft durchsetzen. Dagegen sprechen eine Reihe von Faktoren, etwa die Bewertung des Euro in der EU, die den Preis für Importgüter automatisch reduziert. Die geringere Abhängigkeit der Industriestaaten vom Erdöl sorgt dafür, dass die Auswirkungen weniger drastisch sind als in den 30er Jahren. Vor allem aber haben sich die Rahmenbedingungen im Verhältnis zwischen den Klassen nicht grundlegend gewandelt: Die Herrschaft des Finanzkapitals als Basis für die antiinflationäre Politik der Zentralbanken ist unangetastet und die anhaltende Massenarbeitslosigkeit hin-dert die Arbeiter daran, den Lohnstandard zu verteidigen. In allen Ländern liegt seit fast 30 Jahren der Anstieg der Löhne dauerhaft unterhalb des Produktivitätszuwachses.

Insofern liegt auch hier das Kernproblem, nämlich im weltweiten Widerstand der Arbeiterschaft gegen die Versuche des Kapitals, sie gegeneinander auszuspielen. Beispielsweise haben die ArbeiterInnen der Dacia-Werke in Rumänien im März durch einen kämpferischen Streik bedeutende Lohnerhöhungen durchsetzen können. Seit einem Jahr lassen sich auch – vorerst sehr bescheidene – Lohnerhöhungen in China, Indien, Südkorea etc. beobachten. Im Süden wie im Osten und Norden geht es darum, das „eherne Gesetz“ in Frage zu stellen, wonach der Anteil der Löhne am Mehrwert sinkt, während die Gewinne explodieren, darum, indirekte Steuererhöhungen abzuwehren und darum, die Preise wieder durch bestimmte Mechanismen zu kontrollieren, was einher gehen muss mit der Wiederherstellung gemeinwirtschaftlicher Errungenschaften wie des „sozialen Lohns“ und der kostenlosen öffentlichen Dienstleistungen. In Frankreich sind z. B. die Gas- und Strompreise, die noch staatlich beeinflusst werden, um lediglich 2,5 % binnen Jahresfrist gestiegen. Wie wird dies aber nach einer Privatisierung dieser Sektoren aussehen? Ebenso verzichtet ein zunehmender Teil der Bevölkerung auf die Gesundheitspflege, weil Medikamente immer teurer und Zuzahlungen immer höher werden. Der Kampf für das Recht auf die Gesundheit aller ist daher ein Kampf für die Verteidigung der Krankenversicherung und für die Kontrolle der Pharmapreise.

Aus Rouge 2252, vom 15.5.08

Übersetzung: MiWe

1 Ernest Mandel, Quatrième Internationale, n° 37,
Mai 1969

2 Michel Husson, „ Après l’âge d’or “ . In: Le
marxisme d’Ernest Mandel, 1999

3 Michel Husson, „ Un pur capitalisme “, 2008

4 Guillaume Duval, „ Inflation, le retour ? “, Alternatives
économiques, n° 264, Dez 2007