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Die irische Krise und ihre Bedeutung
für Europa

John McAnulty* - 01.01.2011


Worin liegt die Bedeutung der irischen Krise für die Arbeiter­Innen in Europa? Es stimmt natürlich, dass Irland, ähnlich wie Griechenland, ein Extremfall ist. Aber es ist ein Extremfall einer allgemeinen Krise. Bestimmte Umstände treffen nur auf Irland zu, aber die Krise ist global und die schärfsten Spannungen sind heute in Europa zu spüren.

Einige Elemente liegen auf der Hand. Irland wie auch Griechenland gehören zu den PIIGS-Staaten (dazu gehören noch Italien, Portugal und Spanien), schwächere Volkswirtschaften, die einen allgemeinen Zusammenbruch auslösen können. Was weniger offen diskutiert wird, ist der Geldfluss. Irische ArbeiterInnen müssen für irische Banken bezahlen. Diese werden von der Europäischen Zentralbank (EZB) gestützt, die gleichzeitig die Kredite deutscher und britischer Banken absichert. Die Banken leihen dem irischen Staat Geld, der das Geld an die Banken zurückzahlt und dazu der irischen Arbeiter­Innenklasse ein verheerendes Sparprogramm aufzwingt.

Enttäuschte Hoffnungen

Was die Krise noch schlimmer macht, ist die Tatsache, dass überhaupt keine Lösung in Sicht ist. Der irische Staat gewährte eine umfassende Garantie für die Banken und zog dazu 15 Mrd. € aus der Wirtschaft. Die Herrschenden hofften, dass bis 2011 einiges davon zurückfließen würde. Die EZB erhöhte dann die irischen Schulden um 85 Mrd. € und im Haushalt mussten weitere 15 Mrd. € gestrichen werden. Jetzt hoffen sie, dass bis 2014 einiges davon zurückfließen wird.

Irland kann nicht für die Banken bezahlen. Europa kann nicht für die Banken bezahlen. Sie werden es aber versuchen, und das hat eine grausame Sparpolitik und einen Klassenkrieg in Europa zur Folge.

Die spezifischen Elemente der irischen Krise hängen eng mit der extremen Abhängigkeit der Ökonomie eines Landes zusammen, das nie seine völlige politische Unabhängigkeit erreicht hat. Es gibt nur eine sehr kleine einheimische Fertigungsindustrie. Das irische Kapital ist traditionell mit dem „Wucherkapital“ verbunden, mit Zinsen auf verliehenem Kapital und mit Spekulationsgeldern. Das irische Kapital setzte auf eine Entwicklungspolitik, die die Abhängigkeit verschärfte, einerseits indem internationales Kapital mittels niedriger Steuern angezogen wurde, andererseits, indem die Wirtschaft über den Euro an Frankreich und Deutschland angebunden wurde.

Die Ursachen

Zum einen hat der niedrige Unternehmenssteuersatz von 12,5 % nicht genug Einkünfte erzeugt, um den Staat und seine Infrastruktur ausreichend zu modernisieren. Zum anderen wurde die Flut billiger Kredite von den Banken, den Spekulanten und den Politikern dazu benutzt, eine gewaltige Blase zu erzeugen.

Als der Crash losbrach, sprachen die irischen Kapitalist­Innen für die großen Aktienbesitzer eine absolute Garantie aus und kürzten gleichzeitig die Löhne und Renten und strichen Stellen und Öffentliche Dienstleistungen, um darüber die Zinszahlungen zu sichern. Diese Strategie schlug fehl, als das ganze Ausmaß des Schuldenbergs offensichtlich wurde und die Aktienbesitzer und die Kreditinstitute sahen, dass Irland nicht in der Lage sein würde, weiter zu zahlen. Jetzt traten die EZB und der IWF auf den Plan, um „Irland zu retten“, d. h. um die europäischen Banken zu retten. Dazu vergrößerten sie die Schulden Irlands noch mehr und unterstützten die irischen Pläne zur drastischen Verschärfung der Sparpolitik. Am bezeichnendsten ist vielleicht die Entscheidung, den Mindestlohn zu senken. Er soll runtergedrückt werden, und zwar nicht nur für die Zeit der Krise, sondern für immer. Der Verteilungsschlüssel zwischen Kapital und Arbeit soll auf Dauer verändert werden. Die Ära des Sozialstaates nähert sich dem Ende.

Parallelen in Europa

Das Gesamtkonzept ist bereits gescheitert. Es scheiterte in Griechenland, wo ein Jahr unablässiger Sparpolitik rein gar nichts bewirkt hat, um Stabilität herzustellen. Das Scheitern in Irland zeigt, wie tief die Krise ist. In Griechenland leiteten die Sparmaßnahmen eine scharfe politische Wende ein. In Irland hingegen waren die Kapitalist­Innen schon vorher dabei, die Sparpolitik umzusetzen und alles, was EZB und IWF noch tun konnten, war, gewisse Details zu ändern und das Programm zu überwachen. Aber mit jedem möglichen Cent, der aus den irischen Arbeiter­Innen rausgepresst wird, bewegte sich die Zinsrate gerade mal unter 6 %, also der Rate, die die Krise überhaupt losgetreten hat. Innerhalb von Tagen stürzte das Rating für Irlands Kreditwürdigkeit ab und wochenlang mussten die europäischen Mächte Krisensitzungen abhalten und neue Stützungsmechanismen beschließen, die beim nächsten Schock versagen werden.

Irland kann nicht für die Banken bezahlen. Europa kann nicht für die Banken bezahlen. Ständig wird darüber geplaudert, die Banken dazu zu zwingen, Verluste zu akzeptieren, aber dieses Geschwätz bringt gar nichts. Das Einzige, was wir erleben, ist eine ständige Zunahme der Angriffe auf die ArbeiterInnen.

In einem Boot?

Wenn nun also die Art der Krise grundsätzlich gleich ist, dann sind auch die Aufgaben, vor denen die Arbeiter­Innen stehen, die gleichen, nämlich wieder die Ini­tiative zurückzugewinnen und neue Strukturen aufzubauen. Es braucht ein neues Programm und neue Widerstandsorganisationen. Die augenschein-liche Lähmung der irischen Arbeiter­Innen hat die Menschen im Ausland überrascht, aber Irland ist nur ein extremes Beispiel für einen allgemeinen Trend. In Teilen Europas gab es größere und heftigere Demonstrationen, aber sie ebben ab, weil es kein alternatives Programm der Arbeiter­Innenklasse und keine neuen Widerstandsorganisationen gibt.

Es gibt eine Reihe von Gründen, weshalb der große Ärger der irischen Arbeiter­Innen mattgesetzt wurde. Zum einen ist es die brutale Grausamkeit dieser Angriffe. Trotz allen Getöses von Fairness, wonach wir alle im selben Boot sitzen, fanden es die irischen Kapitalist­Innen unmöglich, ihre eigenen Steuern zu erhöhen und es trifft ausschließlich die Arbeiter­Innenklasse und die Armen, die dramatische Einschnitte in ihrem Lebensstandard hinnehmen müssen.

Zweitens, und das ist noch viel bedeutsamer, liegt es an der Rolle der Gewerkschaftsbürokratie, die seit Jahrzehnten mittels formaler Mechanismen der Sozialpartnerschaft mit Regierung und Kapital verbunden ist. Die Gewerkschaftsführungen sind in der Lage, die Arbeiter­Innen massenhaft zu mobilisieren, aber dann nutzen sie diese Demonstrationen als Plattformen, um in sozialpartnerschaftlichen Strukturen an den Verhandlungstisch zurückzukehren und die Arbeiter­Innen von weiteren Aktivitäten abzuhalten.

Rolle der Gewerkschaftsbürokratie

Die Strategie der Gewerkschaftsführung bestand darin, die Politik der Garantien für Bankkredite zu unterstützen und dann lediglich zu fordern, dass es einen „besseren faireren Weg“ gibt, die Schulden zu bezahlen, indem man nämlich die Defizitreduzierung mit einer keynesianischen Arbeitsbeschaffungspolitik kombiniert. Diese Vorschläge werden beständig abgelehnt, aber die Beziehung zur Regierung wird dennoch stärker und nicht etwa schwächer. Die Bürokrat­Innen unterzeichneten eine Vereinbarung mit der Regierung – das „Croke Park Abkommen“ – das Lohnkürzungen und Stellenstreichungen akzeptiert, wenn die Löhne jetzt eingefroren werden und keine Entlassungen gegen den Willen der Betroffenen stattfinden. Im Gegenzug werden die Arbeiter­Innen mit diesem Abkommen an ein vierjähriges Streikverbot gebunden.

Diese Vereinbarung gilt weiter, obwohl die Prinzipien, auf denen es basierte, mit dem kürzlich verabschiedeten Haushalt aufgehoben wurden. Die Bürokratie ist jetzt mit diesem Abkommen in die Mechanismen des Sparprogramms von EZB und IWF eingebunden.

Aber es wäre ein Fehler, all dies nur als einen Verrat der Gewerkschaftsführung an den Arbeiter­Innen zu sehen. Sie haben es mit sehr wenig Opposition zu tun, was mit dem niedrigen Stand des Klassenbewusstseins der irischen ArbeiterInnen zusammenhängt. Das Bewusstsein der ArbeiterInnen ist ein Ergebnis von Jahrzehnten der Niederlagen. Den Niederlagen der Sozialpartnerschaft folgte der Zusammenbruch des radikalen Republikanismus und das Ergebnis ist die Hegemonie der Kapitalist­Innen über die Arbeiter­Innenklasse. Kapitalist­Innen und Arbeiter­Innen sind in einer nationalistischen Ideologie miteinander verbunden, die Irlands Unterordnung und die Notwendigkeit, den Imperialismus zu beschwichtigen, akzeptiert. So tief ist dieses Bewusstsein verankert, dass die Fianna-Fail-Regierung trotz erdrutschartiger Wahlverluste in der Lage ist, eine Gegenoffensive zu starten und zu erklären, dass ihre Gegner­Innen keine Alternative hätten (was stimmt). Es ist überraschend, dass selbst in der tiefsten Krise die absonderlich tiefe Steuer für Unternehmen von 12.5 % und die Subventionierung, die dies für ausländische Firmen darstellt, wenig kritisiert wird.

Sozialpartnerschaft vs. Widerstand

Ähnliche Faktoren treffen in anderen Ländern Europas zu, wenn auch weniger extrem. Die Arbeiter­Innen sind im Allgemeinen sehr schlecht auf die kapitalistische Offensive vorbereitet. Auch dort, wo es keine formalen Sozialpartnerschaftsstrukturen gibt, herrscht doch überall in Europa in den Gewerkschaften eine Kultur der Zusammenarbeit mit den Bossen und der Regierung, genauso wie die Bürokraten und die Sozialdemokratie gemeinsam ein bestimmtes Programm vertreten: Die Arbeiter­Innen müssen zahlen, aber die Kapitalist­Innen sollen ein keynesianisches Programm umsetzen, um den Schmerz zu lindern. Im Allgemeinen sind der Organisationsgrad und das Klassenbewusstsein höher als in Irland und es gibt hier und da auch eine größere Unabhängigkeit von der Bürokratie, aber im geschichtlichen Vergleich ist beides heute auf europäischer Ebene recht niedrig.

Neue Strukturen und eine neues Programm für den Widerstand müssen aufgebaut werden. Ausgangspunkt muss die Ablehnung der Schuldenrückzahlung aus den Randländern sein. Auch in den Hauptmächten der EU sollen die Schulden dazu genutzt werden, im eigenen Land Sparprogramme durchzusetzen.

Programm der ArbeiterInnenklasse muss es sein, den Sparoffensiven und den Angriffen auf die Rechte der ArbeiterInnen dauerhaften Widerstand entgegenzu-setzen. Die Kampfform der Arbeiter­Innen muss die der Massenmobilisierung sein: Besetzungen, Inbesitznahme von Betrieben, die geschlossen werden sollen, Forderung nach staatlicher Unterstützung und – wenn dies abgelehnt wird – Übernahme von Teilen staatlicher Machtausübung.

Die Alternative der ArbeiterInnen muss sein, die Kasino-Banken zu schließen und eine Arbeiterbank einzurichten, um die täglichen Bedürfnisse der Arbeiter­Innen und anderer unterdrückter Gruppen zu befriedigen, verbunden mit einem Wirtschaftsplan, der auf die Entwicklung der Wirtschaft und der Gesellschaft abzielt, um den Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden.

Vor allem müssen die Arbeiter­Innen ein internationales Programm entwickeln. Die Kapitalist­Innen versuchen, das Stereotyp des fleißigen Deutschen gegen die faulen Griechen und die unfähigen Iren ins Feld zu führen, wo doch alle von den Banken ausgenommen werden. Der Anspruch, dass der Kapitalismus ein geeintes Europa aufbaut, scheitert gerade. Es wird Zeit, dass die Alternative eines vereinigten sozialistischen Europas zur Diskussion gestellt wird.

* John McAnulty ist führendes Mitglied von Socialist Democracy, sympathisierende Organisation der IV. Internationale in Irland.
Übersetzung: Daniel Berger.