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Bleiberecht und ein Leben in Würde für Alle !

Flyer der BFS/MPS 01. September 2008


In der Schweiz dürfen abgewiesene Asylsuchende und solche mit Nichteintretensentscheid (NEE) nicht arbeiten. Sie leben in Kollektivunterkünften mit einer Nothilfe, die nicht einmal die minimalen Bedingungen eines Lebens in Würde sichert.

Vorläufig Aufgenommene haben sehr beschränkte Möglichkeiten, eine Arbeit – oder Lehrstelle – und eine Wohnung zu finden.

Papierlose (Sans-papiers) leben und arbeiten ohne jenes Mindestmass an Sicherheit, das ein Minimum an Würde im sozialen Leben und bei der Arbeit ermöglicht. Sie sind rechtlos. Tagtäglich müssen sie die Ausschaffung befürchten.

Bleiberecht – und was dazu gehört:

Bleibereicht für alle heisst konkret:

Kollektive Regularisierung aller Sans-papiers.
Eine automatisch erteilte Aufenthaltsbewilligung für jede Person, die in der Schweiz lebt oder arbeitet, d.h. die sich in diesem Land an der Produktion des gesellschaftlichen Reichtums beteiligt.
Stopp jeglicher Ausschaffung von Menschen – und deren Familien – welche in die Schweiz einreisen um zu arbeiten, ob ihre Arbeit nun als qualifiziert gilt oder nicht, ob sie erwerbstätig sind oder eine soziale Tätigkeit ausüben, einschliesslich des Bettelns, eine Aktivität die von den Kirchen seit Jahrhunderten anerkannt wird.
Stopp jeglicher Ausschaffung von abgewiesenen Asylsuchenden und solchen mit Nichteintretensentscheid sowie von vorläufig Aufgenommenen.
Stopp der Doppelbestrafung: Keine Ausschaffung einer ausländischen Person nach Verbüssung einer Gefängnisstrafe auf Grund einer Straftat, dies unabhängig vom Aufenthaltsstatus.
Recht auf Familiennachzug für jede ausländische Person, die in der Schweiz lebt, unabhängig von ihrer Lebensweise, und das Recht auf Leistungen der Krankenversicherung, der Unfallversicherung und der Sozialhilfe.
Stopp der Befragung und Bespitzelung von Ehen mit einer Person, die im Ausland lebt, die einen prekären Aufenthaltsstatus besitzt, von Ausschaffung bedroht ist oder keine Papiere vorweisen kann.
Stopp der Koppelung der Aufenthaltsbewilligung an moralisierende Anforderungen in Sachen Integration.
Umsetzung einer wirklichen Politik der interkulturellen Integration: bedingungslose Bereitstellung von realen Mitteln zum gegenseitigen Kennenlernen der Kulturen im weitesten Sinne; Anerkennung der im Herkunftsland erworbenen schulischen und beruflichen Ausbildungen sowie der zahlreichen gesprochenen Sprachen; es geht nicht an, dass nur die drei Landessprachen und das Englische anerkannt werden – die reiche Sprachenvielfalt der MigrantInnen muss gewürdigt werden.

In Wirklichkeit decken sich diese Rechte grösstenteils mit Grundrechten, die allen Lohnabhängigen und ihren Familien gewährt werden müssen, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus in der Schweiz. Wenn Zehntausende Menschen, die in der Schweiz leben und an der Produktion von gesellschaftlichem Reichtum beteiligt sind, in einem Zustand der Rechtlosigkeit gehalten werden, wird es umso leichter, die sozialen Rechte der niedergelassenen Lohnabhängigen zu beschneiden.

Recht auf Gesundheitsversorgung und geregelte Löhne

Derzeit müssen mehr als 75% der Sans-papiers ohne Krankenversicherung leben. Abgewiesene Asylsuchende und solche mit Nichteintretensentscheid haben grossmehrheitlich keinen Zugang zu medizinischen Leistungen. Nur in den Kantonen Bern, Freiburg, Genf und Zürich existieren – mehr oder weniger prekäre – Netzwerke, die diesen Menschen eine medizinische Versorgung ermöglichen. Die Betroffenen müssen aber zunächst einmal den Mut aufbringen, diese Einrichtungen aufzusuchen – das Klima der Repression zielt auch darauf ab, sie von diesem Schritt abzuhalten.

Mehr als 80% der papierlosen Frauen gebären ohne medizinische Schwangerschaftskontrolle und Nachsorge. Die Bedingungen für den Zugang zu einer Krankenversicherung wurden für diese Menschen, die in extrem prekären Situationen überleben, noch verschärft. Der Grundsatz des Rechts auf eine Krankenversicherung für alle Menschen, die in der Schweiz leben, wird in Frage gestellt durch die Feststellung von Fällen von "offensichtlichem Missbrauch durch Personen, die für eine bestimmte medizinische Behandlung in der Schweiz von Leistungen der Krankenversicherung zu profitieren suchen" (Bundesgerichtsentscheid BGE 9C_217/2007 von April 2008).

Der durchschnittliche Lohn eines Sans-papiers wird auf 1000 bis 1600 Franken pro Monat geschätzt – aber offiziell gibt es ja nichts dergleichen. Das Bundesamt für Statistik berücksichtigt die Sans-papiers in seiner sehr offiziellen und sehr fiktiven Lohnstatistik nicht.

Rechtliche Repression hat System

Die rechtlichen Instrumente zur Repression der Sans-papiers wurden massiv verschärft. Seit 2007 produzieren neue Gesetze noch mehr Sans-papiers. Die Gewerkschaften haben das neue Gesetz gegen die Schwarzarbeit akzeptiert, obwohl dieses die rechtlichen Grundlagen der Hetzjagd gegen papierlose Lohnabhängige verstärkt. Und die Revision von Ausländer- und Asylgesetz – 2007 und 2008 in Kraft getreten – heizt die Produktion von Sans-papiers noch mehr an.

Im Juli 2008 wurden die repressiven Bestimmungen der Zwangs-massnahmen dahingehend erweitert, dass sie sich gegen "Ausschaffungshäftlinge", aber auch gegen inhaftierte Schweizer Bürgerinnen und Bürger richtet, die "zwangsverlegt" werden. Damit werden eine breite Palette von Instrumenten zur polizeilichen Brutalität sowie gewisse Formen von Folter legalisiert, wie die Elektro-schockpistole Taser, die von zahlreichen Menschenrechtsorganisationen als Folterinstrument bezeichnet wird.

Die Schweiz gleicht sich also vollständig der Praxis der Europäischen Union an: Sie fichiert, sie sammelt Fingerabdrücke und biometrische Daten, sie vollzieht Ausschaffungen und Einsperrungen von illegal Eingereisten, von Sans-papiers, von abweisbaren oder abgewiesenen Asylsuchenden und von Ausländerinnen und Ausländern in Ausschaffungsverfahren. In der EU und in der Schweiz sind permanent Zehntausende MigrantInnen eingesperrt.

Es wird massiver Druck ausgeübt auf die 100'000 bis 200'000 Sans-papiers, auf abgewiesene Asylsuchende oder solche mit Nichteintretensentscheid, auf ihre Angehörigen – ob diese nun Papiere besitzen oder nicht – sowie auf SchweizerInnen, die sich nicht strikte an die herrschenden Ordnung halten.

Zu Beginn des Sommers 2008 hat die Leitung der Sozialdemokratischen Partei zum Thema Sicherheit das Terrain besetzt, das von den Rechten aller Schattierungen abgesteckt wurde. Für den SP-Kongress im Oktober wird eine Ausrichtung vorgeschlagen, die im Kern die propagandistischen Forderungen jener Parteien übernimmt, mit denen die SP tagtäglich im Bundesrat verkehrt (siehe das Papier der SP-Leitung zur "öffentlichen Sicherheit").

Konkrete, aber grundlegende Forderungen

Es ist nicht nur die gesetzliche Ebene, die diese extrem prekarisierten Menschen und ihre Familien daran hindert, ein Leben in Würde zu führen. Ausschaffungen finden in der ganzen Schweiz statt. Was hindert Kantone mit "linker" Regierungsmehrheit – nehmen wir das Beispiel Genf – daran, Ausschaffungen in der Praxis zu unterlassen? Nichts – ausser der totalen Unterwerfung unter die bürgerlichen Gesetze, die meist Sonderrecht darstellen. Hinzu kommt eine politische Orientierung die seit Jahrzehnten Gesetze und Massnahmen akzeptiert, die immer mehr Kategorien von Lohnabhängigen schaffen und somit das Ziel der Spaltung verfolgen.

So werden junge Sans-papiers daran gehindert, eine Lehre zu absolvieren, denn es kann ihnen kein Fähigkeitszeugnis nach "eidgenössischer" Norm ausgehändigt werden. Warum schaffen Kantone oder Städte mit "linker" und "humaner" Regierungsmehrheit keine kantonalen oder städtischen Fähigkeitszeugnisse, als offizielle Anerkennung der durchlaufenen Lehren für Sans-papiers? Die Gründe sind wiederum in der oben skizzierten Haltung zu suchen.

Diese extrem prekarisierten Menschen haben keinen oder kaum Zugang zu einer medizinischen Versorgung. Was hindert die kantonalen Behörden daran, dieser Bevölkerungsgruppe auf kantonaler Ebene das Gesundheitssystem vollständig zugänglich zu machen? Nichts – ausser den oben angeführten Gründen, und die sorgsam gepflegte Fremdenfeindlichkeit.

Was hindert Unternehmer daran, die eine utilitaristische (auf den wirtschaftlichen Eigennutz ausgerichtete) Migrationspolitik befürworten, gleichzeitig die Regulierung der Bewilligungs- und der Lohnfrage einzufordern? Nichts – ausser der Benutzung der Prekarität als Instrument zur Lohnsenkung, umso mehr als das Subunternehmertum immer mehr Raum einnimmt.

Wollen wir uns nicht mit dem Anprangern der allgemeinen Zustände zufrieden geben – eine sicher notwendige Haltung – so sollten alle Organisationen und Verbände, die für die vollständige Gewährung von politischen, sozialen und wirtschaftlichen Rechten einstehen, sich für diese beschränkten, aber konkreten Forderungen mobilisieren. Alle diese Forderungen beziehen sich auf die Grundrechte. Alle können als Hebel wirken im Kampf gegen die Selektion der "erwünschten" Migration, gegen die Selektion der erzwungenen Illegalität, gegen die Selektion der "erwünschten" Regularisierung und Ausschaffung – aber auch im Kampf gegen die Gefahr der Resignation.